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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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Zeit später waren sie bereits mehrere Kilometer vom Zentrum entfernt, in einem Viertel, in dem nichts von der geschönten Fassade zu sehen war, mit der sich Amman ausländischen Augen in den schickeren Stadtteilen präsentierte. Die Straßen waren holprig und schlecht ausgeleuchtet, Eselskarren zuckelten an ihnen vorbei, und an den mit antiamerikanischen Graffiti verschmierten Hauswänden hingen palästinensische Flaggen und uralte, halb zerfetzte Plakate von Jassir Arafat.
    »Halt hier an«, sagte Alice, als sie auf der Kuppe eines Hügels vor einem schmalen Sträßchen angekommen waren, das kaum mehr war als ein Trampelpfad. Es führte in ein wahres Labyrinth aus grob verputzten Steinhäusern. Ferris sah sich argwöhnisch um. Das war ein palästinensisches Flüchtlingslager, eines von den älteren, in dem man die ersten Flüchtlinge nach den Kriegen von 1948 und 1967 untergebracht hatte. Er kannte es aus einer Informationsveranstaltung des Sicherheitsdienstes der Botschaft, in der es als einer der Orte genannt worden war, an denen sich ein Botschaftsmitarbeiter niemals, unter gar keinen Umständen aufhalten durfte.
    »Hier arbeite ich«, sagte Alice und öffnete die Beifahrertür.
    »Oder besser gesagt, es ist einer von mehreren Orten, an denen ich arbeite. Ich wollte ihn dir zeigen. Ich dachte, dann verstehst du mich vielleicht besser. Von wegen Intimität, du weißt schon.« Machte sie sich etwa über ihn lustig?
    Sie ging bereits zielstrebig auf den Eingang des Flüchtlingslagers zu, während Ferris noch den staubigen Zugangspfad entlangblickte. Zwischen den verstreuten Laternenpfählen hingen Lichterketten, die aussahen wie Weihnachtsbeleuchtung. Gleich hinter dem Eingang befand sich ein Café, das noch geöffnet hatte, und weiter hinten einige Läden. Vor dem Café saßen ein paar Männer und rauchten gemeinsam eine Wasserpfeife. Als sie Ferris und seinen schweren Geländewagen sahen, verstummte ihr Gespräch schlagartig. Ferris war nervös. Die Vernunft sagte ihm, dass sie hier so spät am Abend nichts mehr verloren hatten.
    »Komm schon«, sagte Alice und näherte sich dem Café. »Vielleicht sind ja ein paar Freunde von mir da.« Aber Ferris zögerte. Es war wie früher an der Uni, wenn jemand, der zu viel getrunken hatte, unbedingt noch Auto fahren wollte und man selbst vor der Entscheidung stand, ob man ein Spielverderber sein oder einfach mit einsteigen sollte.
    »Na komm schon, du Angsthase.« Alice nahm Ferris bei der Hand und zog ihn zu dem Café. Sie setzten sich auf zwei Plastikstühle auf der betonierten Terrasse, unter einem hölzernen Vordach, das tagsüber die Sonne abhielt. Die Männer mit der Wasserpfeife musterten Ferris aus den Augenwinkeln und setzten dann ihr Gespräch fort. Ferris sah, wie einer von ihnen in seine Richtung deutete, und hörte ihn auf Arabisch fragen: »Wer ist denn der Jude?«
    Kurz danach kam der Cafébesitzer nach draußen und begrüßte Alice mit großer Herzlichkeit. Sie fragte ihn auf Arabisch, ob Hamid heute nicht hier sei, und der Besitzer erwiderte, nein, er besuche seine Mutter in Ramallah, Gott sei gepriesen dafür.
    »Wie schade«, sagte Alice zu Ferris. »Ich hätte dir Hamid so gern vorgestellt. Er ist mein Hauptkontakt hier im Lager. Und einer der klügsten Menschen, die ich kenne. Du würdest ihn mögen.«
    »Glaubst du?«, fragte Ferris. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Weil er so ist wie du. Er weiß viel, und er ist sehr tapfer. Die Leute hier haben Respekt vor ihm. Ich dachte mir, er kann dir manche Dinge vielleicht besser verständlich machen als ich.«
    »Weißt du, Alice, ich bin mir nicht so sicher, ob dein Freund Hamid gerne einen Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft kennenlernen würde. Wir sind in diesen Lagern nicht sonderlich beliebt.«
    »Das ist schon in Ordnung. Du bist ja bei mir, und ich bin beliebt. Ich passe schon auf dich auf.« Ihr Blick sagte ihm, dass sie das ernst meinte. Das hier war ihre Welt.
    »Gut, aber er könnte vielleicht einen falschen Eindruck bekommen. Oder andere Leute könnten einen falschen Eindruck bekommen.«
    »Und was für ein Eindruck sollte das sein?«, fragte Alice. Er konnte ihr Gesicht im Dunkeln nicht recht erkennen. Wusste sie vielleicht doch, was er in Wirklichkeit machte?
    »Ach, egal.« Ferris war immer noch angespannt. Er behielt die unmittelbare Umgebung im Auge, suchte nach Anzeichen von Gefahr, doch es war alles ruhig. Vielleicht lag das ja an Alice, vielleicht war ihre Unbefangenheit ja ihr

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