Der Mann, der niemals lebte
darauf gewartet, dass Süleyman die nächste Karte von selbst ausspielte, aber jetzt würde er ihn provozieren. Er würde der Familie Alousi einen Köder hinwerfen, dem sie nicht widerstehen konnte, und dann abwarten, wie sie darauf reagierte. Und zufällig hatte er auch genau das Richtige dafür zur Hand. Sein Vorgänger, Francis Alderson, hatte einen jungen Palästinenser namens Ayman rekrutiert, der aus der Stadt Dschenin im Westjordanland stammte. Ayman lebte inzwischen in Amman, und wie die meisten Palästinenser wünschte auch er sich nichts sehnlicher als ein Visum für die USA. Das Konsulat hatte ihn der CIA- Niederlassung als potenziellen Mitarbeiter präsentiert, und Alderson hatte kurz vor seinem Rausschmiss die Rekrutierung abgeschlossen. Seitdem stand Ayman auf der Gehaltsliste, hatte aber keine konkrete Aufgabe. Ferris würde ihm jetzt eine geben.
Er verabredete sich mit ihm im Hotel Intercontinental am Third Circle. In den Achtzigern, als die amerikanische Botschaft: sich direkt gegenüber befunden hatte, war das Hotel der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Amman gewesen. Inzwischen lag es jedoch so abseits, dass es als sicherer Ort gelten konnte. In einer Suite im obersten Stockwerk wartete Ferris auf Aymans Klopfen. Die Sonne schien hell durch die Fenster herein und glitzerte auf der Oberfläche des Swimmingpools unter ihnen. Als der junge Mann schließlich kam, sah Ferris an seinen weit aufgerissenen Augen, dass er noch nie in einer so eleganten Umgebung gewesen war. Er hatte die typisch harte äußere Erscheinung eines jungen Arabers: sehnige Arme, ein hageres Gesicht und schlechte Haut, die halb unter dem kurzen Stoppelbart verschwand. Auf dem Kopf trug er eine gestrickte Gebetskappe aus weißer Wolle. Er war absolut perfekt für den Job.
Ferris gab dem jungen Mann seine Anweisungen. Er sollte zu dem Haus am Jebel Akhtar gehen und nach den Brüdern Alousi fragen. Falls sie nicht da waren, sollte er sich erkundigen, wann sie zurück sein würden, und dann noch einmal kommen. Sobald er dann mit einem der Alousis allein war, sollte er ihm nur einen Satz sagen: Ich habe eine Nachricht von Süleyman. Wenn man ihn nach der Nachricht fragte, sollte er sie bitten, sich bei einer Adresse in Zarqa einzufinden, und zwar um 19 Uhr am darauffolgenden Tag. Das war der Köder. Falls im Haus eine Verbindung zu Süleymans Netzwerk bestand, würde irgendwer dem Hinweis nachgehen müssen – und sei es nur, um ihn als falsch zu entlarven.
Ayman schaute ziemlich beunruhigt drein, als sie die Anweisungen noch ein zweites Mal durchgingen. Ferris versuchte, ihm Mut zu machen. Wenn du das hinkriegst, versprach er ihm, bekommst du auch dein Visum für Amerika. Und falls du einen Fehler machst, übergeben wir dich dem GID.
Das Haus der Alousis stand am Fuß eines steilen Hanges. Es war zweistöckig, aber rostige Stahlträger auf dem Dach wiesen darauf hin, dass der alte Alousi ursprünglich drei Stockwerke geplant hatte, bevor ihm vermutlich das Geld ausgegangen war. Die Menschen in dem Viertel schlichen, in ihre Abayas und Kufijas gehüllt, mit gesenkten Köpfen durch die Straßen und schienen nichts sehen oder hören zu wollen. Der Wind heulte an den Hauswänden entlang und trug kleine Kieselsteine vom Berg herunter. Ferris, der die Überwachungskamera direkt gegenüber vom Haus hatte anbringen lassen, beobachtete an seinem Monitor im Büro, wie Ayman zur Haustür ging. Eine Frau öffnete ihm, dann kam der alte Mann, und Ferris befürchtete schon, dass die Söhne nicht da waren. Aber dann kam doch ein junger Mann in einem blauen Trainingsanzug an die Tür. Er musterte Ayman zunächst misstrauisch, bat ihn dann aber ins Haus.
Ayman blieb fast eine Stunde drinnen, und Ferris war sich nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. In einer Stunde konnten sie ihm mehr als genug Fragen stellen, um die lockere Tarnung auffliegen zu lassen, die Alderson seinem jungen Agenten verpasst hatte. Doch als Ferris Ayman später selbst befragte, berichtete der, die lange Wartezeit habe nichts weiter zu bedeuten gehabt. Im Grunde war überhaupt nichts passiert. Er hatte die Nachricht überbracht, so wie Ferris es ihm aufgetragen hatte: Ich habe eine Nachricht von Süleyman. Kommt zu dieser Adresse hier in Zarqa. Aber die Brüder Alousi hatten behauptet, keinen Süleyman zu kennen. Wieso sollte dieser Süleyman ihnen denn eine Nachricht zukommen lassen, wenn sie gar keinen Süleyman kannten? Das Ganze
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