Der Mann, der niemals lebte
verzweifelten Lage und mussten die Deutschen unbedingt austricksen. Ich fand, wir sind in einer ähnlichen Lage, und habe mich gefragt, ob wir dann nicht auch etwas in der Art auf die Beine stellen könnten.«
»Alles klar, Sie Schlauberger. Und was ist das für ein Buch?«
»Der Mann, den es nie gab.«
Hoffman kniff die Augen zusammen und machte ein Gesicht, als sähe er mit einem Schlag alles genau vor sich: den Toten, die falsche Botschaft, die raffiniert ineinandergreifenden Lügen. Dann stand er auf, ging zum Bücherregal und zog sein eigenes, zerlesenes Exemplar des Buches heraus, von dem Ferris gesprochen hatte.
»Operation Mincemeat. So haben die Briten das damals genannt, richtig? Sieht so aus, als würde ich langsam alt und verkalkt. Da hätte ich auch selber drauf kommen können.«
»Nur alt«, sagte Ferris.
»Wissen Sie was, Ferris? Sie gefallen mir. Sie sind ein echter Knaller, ist Ihnen das eigentlich klar?«
»Vielen Dank.«
»Wenn wir das richtig machen wollen, muss ich Sie in einen ziemlich elitären Zirkel mit aufnehmen. Ich habe mir hier nämlich ein paar Leute zusammengesucht, die die etwas unkonventionelleren Sachen für mich erledigen. Eigentlich wollte ich Sie da schon reinbringen, nachdem Sie im Irak verwundet wurden, aber damals haben Sie mich ja noch abblitzen lassen. Wenn Sie ernsthaft dazu bereit sind, können wir uns aber sicher auch jetzt noch einig werden. Ich kann Ihnen allerdings nur raten, nicht zu schnell ‹Hier› zu schreien, denn das ist etwas ganz anderes als das, was Sie bei Ihrer albernen Ausbildung auf der Farm gelernt haben. Sie müssen sich ganz sicher sein, ob Sie so etwas wollen.«
Ferris dachte nicht lange nach, bevor er antwortete, obwohl er keinen Zweifel daran hatte, dass diese Entscheidung sein ganzes Leben verändern würde.
»Wir müssen Süleyman das Handwerk legen«, sagte er entschieden, »und so können wir es vielleicht schaffen.«
»Taqiyya«, sagte Hoffman leise und ließ sich das Wort genüsslich auf der Zunge zergehen. Dann legte er dem jüngeren Mann eine schwere Hand auf den Arm. »Sie haben es ja vor langer Zeit schon zu mir gesagt, Roger: Wir müssen diese Leute stoppen. Diesen Kampf dürfen wir nicht verlieren. Wenn wir Süleymans Netzwerk nicht bald zerschlagen, werden noch sehr viel mehr Menschen sterben.« Er ließ Ferris’ Arm wieder los und sagte ihm, seine Sekretärin werde ihn in ein paar Tagen anrufen, um einen Termin für eine weitere Besprechung zu vereinbaren. Er selbst müsse erst noch ein paar Vorbereitungen treffen, ehe er Ferris in seinen geheimen Zirkel aufnehmen könne.
Washington
Die erste Nacht in Washington verbrachte Ferris in einem Hotel, einer schäbigen kleinen Absteige in der Nähe des Dupont Circle, die ihn irgendwie an die Unterkünfte seiner Studentenzeit erinnerte. Er wollte allein sein, weit weg von allen, die ihn kannten. Und Christina wollte er erst dann sehen, wenn er sich genau überlegt hatte, was er ihr sagen wollte. Seine Frau war groß darin, seine Pläne zu durchkreuzen und seine Entschlüsse einfach zu ignorieren, diesmal wollte er das Heft in der Hand behalten.
Er rief sie am nächsten Morgen um halb sieben an. Sicher kam sie gerade aus der Dusche und hatte eben angefangen, sich zu schminken.
»Hallo, Christina.«
»Roger?« Sie klang erstaunt, schien sich aber zu freuen.
»Ich bin wieder zu Hause.«
»Nein, das bist du nicht. Ich bin zu Hause, du bist irgendwo anders. Fragt sich nur wo.«
»In einem Hotel.«
»Was willst du denn da?«
»Das erkläre ich dir später. Können wir uns zum Abendessen treffen?«
»Jetzt sei nicht albern, Liebling. Komm nach Hause in deine Wohnung, zu deiner Frau. Ich muss heute zwar etwas länger arbeiten, aber um sieben bin ich bestimmt da. Du hast doch einen Schlüssel. Natürlich hast du einen Schlüssel, es ist ja schließlich deine Wohnung. Also komm einfach heim und ruh dich aus, damit du heute Abend fit bist.«
Ferris wollte sie eigentlich noch darauf hinweisen, dass es nicht diese Art von Besuch sei, aber Christina hatte es eilig, ins Ministerium zu kommen, und legte auf, nachdem sie ihm gesagt hatte, wie sehr sie ihn liebe und wie glücklich sie sei, dass er wieder da war. Und das meinte sie auch so. Es würde nicht leicht für ihn werden. Er musste es ihr sagen und dann gleich wieder verschwinden.
Ihre gemeinsame Wohnung befand sich in einem schicken Haus in Kalorama, gleich neben der Connecticut Avenue. Christina hatte sie ausgesucht,
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