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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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weil in dieser Gegend reiche Familien wohnten, die ihr Geld nicht erst seit gestern hatten und über hervorragende Verbindungen verfügten. Für ihre Nachbarn war Christina wie eine Tochter. Sie besuchte sie, wenn sie krank waren, und brachte ihnen kleine Geschenke von ihren Reisen mit. Christina liebte es, die Wohnung immer wieder umzudekorieren, und hatte Ferris oft zu Auktionen und in Antiquitätengeschäfte geschleppt, um gemeinsam mit ihm irgendwelche Dinge zu kaufen. Wenn die Nachbarn sie zu einer Cocktailparty einluden, machten die Männer auf Ferris stets den Eindruck, als wüssten sie genau, was er wirklich tat, obwohl sie ihn niemals danach gefragt hatten.
    Die Umgangsformen der besseren Gesellschaft hatte sich Christina selbst beigebracht, was besonders bei den älteren Nachbarn sehr gut ankam. Es gefiel ihnen, dass dieses intelligente junge Ding solche Anstrengungen unternahm, um zu ihrer Welt zu gehören. Christinas Vater war Versicherungsvertreter in Indiana und als solcher ein grundsolider, angesehener Bürger, der sich nie hätte träumen lassen, dass seine Tochter dereinst in die oberen Zehntausend aufsteigen würde. Sie hatte einen älteren Bruder, der in Indiana geblieben und dort zum lokalen Verkaufsleiter von John Deere aufgestiegen war. Doch für Christina war das nicht genug. Sie hatte mit achtzehn die Koffer gepackt und war direkt auf die Columbia University gegangen, wo sie sich ein neues Leben erschaffen hatte. Ferris bewunderte sie nach wie vor für das, was sie erreicht hatte, er wollte es nur nicht mehr mit ihr teilen.
    Als er das Haus betrat, begrüßte Ferris den Portier, der sichtlich erstaunt war, ihn zu sehen, und fuhr mit dem Aufzug nach oben, wo er zögernd die Wohnungstür aufschloss. Im Flur stand ein antiker französischer Sekretär mit geschwungenen Beinen, der viel zu fragil war, als dass man ernsthaft hätte daran arbeiten können. Die Wohnung war sauber aufgeräumt und zeigte keinerlei Spuren eines anderen Lebens, das Christina während seiner Abwesenheit möglicherweise geführt hatte. Ferris ging ins Schlafzimmer, wo auf beiden Nachttischen Fotografien in silbernen Rahmen standen. Er betrachtete sein eigenes Foto, das noch vor ihrer Hochzeit aufgenommen worden war. Er sah ziemlich verwegen darauf aus und immer noch wie ein Journalist. Auf dem Rahmen war kein Staub. Hatte sie ihn erst kürzlich abgestaubt oder das Bild nach ihrem Telefongespräch aus einer Schublade genommen?
    Auf seinem Rundgang durch die Wohnung stellte Ferris fest, dass die Dinge, die auf seine Anwesenheit hinwiesen, allesamt verschwunden waren. Im Kühlschrank war kein Bier, seine Hemden waren aus dem Schrank verschwunden, vermutlich, damit Christina mehr Platz für ihre Sachen hatte, und sein Abonnement der Sports Illustrated hatte sie offenbar auch gekündigt, weil nirgends ein Exemplar der Zeitschrift herumlag.
    Vielleicht würde alles doch einfacher werden, als er gedacht hatte. In gewisser Weise war er ja bereits gar nicht mehr hier.
    Christina rief um halb sieben an und sagte, sie sei bei der Arbeit aufgehalten worden und werde gegen halb acht zu Hause sein, und dann noch einmal kurz nach halb acht, um zu sagen, dass sie jetzt losfahre. Als sie schließlich nach Hause kam, war es kurz vor neun. Sie öffnete die Tür und rief: »Hallo, Liebling, ich bin da«, als wäre er nie weg gewesen. Es tue ihr leid, dass sie erst so spät komme, aber es sei nun einmal nicht anders machbar gewesen. Der Generalstaatsanwalt habe ein dringendes Projekt fertig machen müssen, davon habe sie sich nicht abseilen können. Sie habe es versucht, aber es sei unmöglich gewesen. Es war weniger eine Entschuldigung als das Geltendmachen höherer Gewalt.
    Ferris musterte sie eingehend. Sie war genau so, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte: Seidig schimmerndes schwarzes Haar umrahmte ein Gesicht, das an eine italienische Filmdiva erinnerte. Große Brüste, die normalerweise das Erste waren, was Männern wie Frauen gleichermaßen an ihr auffiel, und die Christina gerne dazu benutzte, um die Leute einzuschüchtern oder zu verführen, je nachdem, was gerade opportun war. Sie trug ein schickes Kostüm und eine Seidenbluse, die gerade so weit ausgeschnitten war, dass man ein kleines Stück von ihrem Dekolleté sah.
    Sie wartete darauf, dass Ferris sie umarmte und küsste, und als er zögerte, trat sie auf ihn zu und drückte ihn fest an sich. Er schlang ebenfalls die Arme um sie, empfand aber nichts dabei. Christina spürte

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