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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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Ich habe es tagtäglich mit Leuten zu tun, die hundertmal angsteinflößender sind als du.«
    »Dass du dich da mal nicht täuschst, Roger. So hast du mich bisher noch nicht kennengelernt, aber wenn es um Prinzipien geht, kenne ich keine Gnade. Ich tue alles, was nötig ist. Und das wird dir verdammt wehtun, glaub mir das.«
    Sie war so aufgebracht, dass Ferris ihr um des lieben Friedens willen fast vorgeschlagen hätte, vor der Trennung noch einen Mediator aufzusuchen, aber noch bevor er etwas sagen konnte, hatte Christina bereits aufgelegt.

 
Rom/Genua  
    In Rom bezog Ferris ein Zimmer in einem kleinen Hotel unweit der Piazza Cavour, in dem grauen Viertel zwischen Vatikan und Tiber. Das Hotel wirkte anonym und ein bisschen schäbig, war für amerikanische Touristen nicht modern und für europäische Touristen nicht charmant genug. Azhars jungen Mitarbeitern, die es für Ferris gebucht hatten, erschien es gerade deshalb als idealer Ort für jemanden, der nicht weiter auffallen wollte. Gleich nach seiner Ankunft sollte Ferris eine Handynummer wählen, gleich wieder auflegen und dann auf den Rückruf eines gewissen »Tony« warten, seines Zeichens Kommandant der kleinen Sondereinheit. Ferris erledigte den Anruf direkt nach dem Einchecken, doch Tony meldete sich weder an diesem noch am nächsten Tag.
    Am ersten Abend in Rom rief Ferris von einer Telefonzelle aus Alice an. Wie gerne hätte er sie hier bei sich gehabt, mit ihr lange Spaziergänge durch die Stadt unternommen – dabei konnte er ihr unter den gegebenen Umständen nicht einmal erzählen, wo er sich aufhielt. Sie war tatsächlich unterwegs gewesen, erzählte sie ihm, in den Flüchtlingslagern nahe der syrischen Grenze. Ferris wollte mit ihr schimpfen, weil sie ein solches Risiko einging, aber sie ließ ihn nicht ausreden. »Die Menschen dort brauchen mich!«, erklärte sie kategorisch. Sie war sehr aufgebracht über die neuesten Nachrichten: mehrere Tote im Libanon, weitere Tote im Irak. Was war nur los auf dieser Welt? Ferris hatte keine Antwort auf diese Frage.
    Stattdessen sagte er: »Ich liebe dich.« Das hatte er bisher noch nie zu ihr gesagt.
    Nach längerem Schweigen erwiderte Alice: »Ach du meine Güte.«
    »Ich habe Christina gesagt, dass ich mich von ihr scheiden lasse.«
    »Gut«, sagte sie. »Ich meine, gut, dass du es ihr gesagt hast, nicht, dass deine Ehe am Ende ist. Wenn du es ihr nicht gesagt hättest, dann hätte ich mich fragen müssen, ob du vielleicht einer dieser Menschen bist, die gar nicht wissen, wie man ein glückliches Leben führt. Oder vielleicht ein Angsthase.«
    Ferris musste lachen, dann sagte er noch einmal: »Ich liebe dich.«
    »Komm nach Hause, dann kann ich dich auch lieben.«
    Ferris versprach ihr, dass er bald zurück sein werde, es könne allerdings noch ein oder zwei Wochen dauern. Als er auflegte, empfand er einen fast körperlichen Schmerz.
    Während der Tage, die Ferris auf »Tonys« Anruf warten musste, machte er lange Wanderungen durch die kopfsteingepflasterten Straßen der Altstadt, um seine nervöse Anspannung abzubauen. Er versuchte, sich die Kollegen von der Spezialeinheit vorzustellen, auf der Piazza Navona oder vor  der Fontana di Trevi, zwischen den amerikanischen Touristen: Massige Muskelmänner mit Brustkörben, die ihnen fast das Hemd sprengten, fleischigen Nacken, so dick wie Kiefernstämme, und dunklen Sonnenbrillen, hinter denen ihre Augen unablässig die Gesichter um sie her musterten. Rom wirkte merkwürdig fremd auf ihn, selbst die Obdachlosen an den schlammigen Ufern des Tiber sahen irgendwie exotisch aus.
    Der erwartete Anruf kam und kam nicht, und jeden Nachmittag kehrte Ferris in sein Hotel zurück, um dort wieder keine Nachricht vorzufinden. Erst am Nachmittag des dritten Tages lag ein Zettel in seinem Postfach, auf dem eine Telefonnummer und der Name »Antony« standen. Ferris ging in eine Telefonzelle gegenüber vom Justizpalast und wählte die Nummer.
    »Sorry, es gab Schwierigkeiten«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Sicherheitsprobleme. Die Geschichte war einfach zu heiß.«
    »Und wie ist die Temperatur jetzt?«
    »Nicht mehr ganz so hoch. Und morgen früh ist bestimmt wieder alles ganz cool.«
    »Wo soll ich Sie treffen?«
    »Beim Minervatempel an der Villa Borghese«, sagte der Special-Forces-Mann, der beim Aussprechen des Namens »Borghese« merkliche Schwierigkeiten hatte.
    Am nächsten Tag fuhr Ferris mit einem Taxi über den Fluss zur Via Condotti, streifte

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