Der Mann, der niemals lebte
seiner Rock-’n’-Roll-Trunkenheit gerissen hatte. »Im Namen Allahs danken wir den Brüdern, die den Weg für uns geebnet haben. Der Tag des großen Festes naht. Allah ist groß.«
»Klingt total gut«, sagte Singh.
Ferris arbeitete noch eine gute Stunde daran, verschiedene E-Mails zu verfassen. Singh tippte sie in den Computer und schickte sie mit Sadikis Absender an ein gutes Dutzend Leute, die sie sich aus dem virtuellen Umfeld ihres virtuellen Überläufers herausgesucht hatten. An alle diese Mails hängte Singh unten ein Postskriptum auf Arabisch an, das lautete: »Lieber Bruder, vergib mir, wenn ich schweige, falls wir uns begegnen. Ich kann nicht anders.« Auf diese Weise würde jeder, der Sadiki direkt darauf ansprach und von ihm dann zu hören bekam, er habe doch gar keine E-Mail verschickt, glauben, dass das bloß der Tarnung diente.
Nun brauchte Singh nur noch abzuwarten, bis er die digitale Ernte einfahren konnte. Ein paar Leute reagierten überhaupt nicht, aber andere antworteten mit Mails, von denen sie glaubten, dass sie an Sadiki gingen, die aber in Wirklichkeit bei Singh landeten. Er beantwortete sie mit den knappen, quälend ungewissen Worten, die Ferris ihm aufgeschrieben hatte und die alle versteckte Hinweise auf die geheime Weihnachtsaktion enthielten. Drei der Empfänger leiteten Sadikis ursprüngliche Nachricht an andere Mailadressen weiter und fugten Kommentare hinzu, die alle in etwa dasselbe fragten: Ist das echt? Gehört er zu uns? Auf diese Weise kam Azhars Team an weitere Mailadressen und Server, die sie überwachen konnten. Und mit jeder dieser Informationen schlichen sie sich, Bit für Bit und Byte für Byte, immer näher an Süleyman heran.
Amman
Während Ferris sich auf sein drittes Treffen mit Omar Sadiki vorbereitete, amüsierte sich Ajit Singh mit einem neuen Spielzeug. Unter den Mitarbeitern der CIA war es zu einer Art Sport geworden, falsche Dschihadisten-Websites zu basteln, von denen Singh allerdings die meisten unbrauchbar fand. Die Grafiken waren zu perfekt, die islamistische Rhetorik zu übertrieben, und manchmal forderten diese gefälschten Sites ihre Benutzer sogar dazu auf, sich zu registrieren und dabei wichtige Daten wie beispielsweise Handynummern anzugeben. Ajit wollte ein sehr viel unauffälligeres Portal erstellen – eines, das Material für militante Muslime zwischen allen möglichen anderen, harmloseren Themen über das Leben und die Liebe bereitstellte. »Sie müssen sich das in etwa so vorstellen wie eine Kreuzung zwischen Osama und Oprah«, hatte er Ferris erklärt. Und Ferris hatte ihm grünes Licht gegeben, ihm aber eingeschärft, er dürfe nicht zu lange dafür brauchen. Diese Warnung stellte sich allerdings als überflüssig heraus: Der junge Mann arbeitete bereits seit ein paar Tagen an dem Projekt und hatte die Beta-Version schon fast fertig.
Der Domain-Name, den Ajit sich ausgedacht hatte, lautete mySunna.com: die Online-Version des »richtigen Weges«, auf Arabisch und Englisch. Aufgebaut war sie wie eine kommerzielle Website, nicht zu schick, aber mit einer ganzen Reihe nützlicher Features, die bestimmt für entsprechend hohe Zugriffszahlen sorgen würden. Beispielsweise gab es einen integrierten »Zakat-Online-Rechner«. Man gab sein Gesamtvermögen ein, inklusive Bargeld, Kontostand, Aktien, Anlagevermögen sowie Gold- und Silberbesitz, klickte auf »Zakat berechnen« und – y’Allah! – schon wusste man die angemessene Höhe seiner vom Koran geforderten Pflichtabgabe. Um den Besuchern der Website Nachrichten nach muslimischem Geschmack zugänglich zu machen, baute Ajit RSS-Feeds der Khaleej Times aus Katar und des Dawn aus Islamabad ein.
Nachdem Ajit einmal in Fahrt gekommen war, kannte er kein Halten mehr. Er fugte einen Menüpunkt hinzu, über den die Besucher der Site in den mySouk genannten Onlineshop gelangen konnten, in dem gerahmte Porträts von Osama bin Laden, Sawahiri und Sarkawi oder auch Gebetsteppiche mit bin Ladens Konterfei angeboten wurden. Ein weiterer Mausklick führte zu myMovies mit einem Angebot von Videos dschihadistischer Gruppierungen aus der ganzen muslimischen Welt: Helden des Irak und Helden des Irak, Teil 2 – Amateurvideos von extremistischen Kämpfern im Irak, die amerikanische Stützpunkte mit Granatwerfern und selbst gebastelten Sprengsätzen angriffen. Ein weiteres Irak-Video trug den Titel Die Löwen von Falludscha und war von den Aufständischen während verschiedener amerikanischer Angriffe
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