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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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bezahlt, aber dafür musste man auch nichts schleppen. Kein aufregender Job. Man musste wach bleiben, und das konnte er schon früher ganz gut. Er patrouillierte mit einer Laterne, einer Trillerpfeife und einem Schlagstock an den Güterwaggons entlang und passte auf, dass sich nicht jemand an den Frachtwägen zu schaffen machte.
    Bis zu diesem Abend war nie etwas passiert, deswegen dachte auch niemand daran, ihnen eine echte Waffe in die Hände zu drücken. Irgendwo auf dem riesigen Güterbahnhof gab es noch zwei andere Typen so wie Tom, die herumliefen und mit ihrer Laterne das Gesindel abschrecken sollten.
    »Und«, so fuhr er fort, »das klappte ganz gut, wie gesagt – bis zu diesem Abend. Jedenfalls dreh ich so meine Runden, und da erwisch ich plötzlich drei Typen, die sich an einem Waggon zu schaffen machen. Komischerweise ist das einer der Postwaggons, und die sind um diese Zeit leer, da gibt’s gar nichts zu holen. Egal, denk ich mir und blas in meine Trillerpfeife. Da fangen zwei der Kerle auch schon an zu rennen, und der dritte schießt auf mich.«
    »Er schießt auf dich? Wegen einem leeren Waggon? Hat er dich getroffen?«
    »Zum Glück nicht, aber ich denk genau das Gleiche, ich denk: ›Warum schießt der Idiot auf mich wegen ’nem leeren Waggon?‹, und das macht mich total wütend, und deswegen renn ich einfach auf ihn zu.«
    »Und er?«
    »Er schießt noch mal, aber er trifft nicht, und dann bin ich auch schon bei ihm und hau ihm das Ding mit dem Schlagstock aus der Hand. Und dann rennt er weg und ich hinterher.«
    »Du hast ihn eingeholt?«
    »Ja. Eine Viertelstunde später. Bond Street, Ecke Michigan hab ich ihm meinen Knüppel zwischen die Füße geworfen, und er ist zum Glück hingefallen und hat sich schwer verletzt, weil ich so außer Puste war, dass ich ihm niemals hätte eine reinhauen können.«
    Becky nickte beeindruckt. »Gut. Aber was hat das mit Lincoln zu tun?«
    »Mit Lincoln nichts, aber mit Pinkerton. Ich hab den Typen bei der Polizei abgeliefert, und am nächsten Tag bestellt mich der große Allan Pinkerton in seine Detektei und erklärt mir, dass ich den Chef einer Bande von Eisenbahndieben gefasst hätte, nach dem er seit einem Jahr gesucht hat. Die Bande hatte wohl genug von den Überfällen auf freier Strecke mit blockierten Schienen und hat sich gedacht, sie lassen sich einfach im Postwaggon einschließen, verstecken sich und warten, bis der Zug auf freiem Feld ist, um die Postsäcke rauszuwerfen oder den mitreisenden Geldboten zu überfallen. So genau weiß ich das gar nicht mehr. Jedenfalls war Pinkerton schwer beeindruckt von meiner Rennerei und hat mir einen Job angeboten.«
    »In Ordnung. Und dann hast du also Ladendiebe gefangen, stimmt’s?«
    »Ja. Und Eisenbahnräuber und Fälscher und Heiratsschwindler und Mörder. Das Büro bestand aus zwei Dutzend Detektiven, ein paar Sekretären, Laufburschen und der Buchhaltung. Ich hab das gern gemacht. Bis der Krieg ausbrach und Pinkerton und die ganze Detektei anfingen, für seinen Kumpel McClellan zu arbeiten.«
    »Den General?«
    »Den glücklosen General. Den Zauderer.«
    »Detektive im Krieg? Was habt ihr gemacht? Deserteure gesucht?«
    »Wir waren die Spione des Nordens. Lincolns Geheimdienst. Wir haben uns hinter die feindlichen Linien geschlichen, hauptsächlich, um Zahlen über die Truppenstärke des Südens zu erfahren. Aber genau das war das Problem.«
    »Warum?«
    »Weil kaum einer der Agenten in den Süden kam, ohne dass er erwischt wurde. Wir waren zwar mit Uniformen der Rebellen verkleidet, aber das hat meist nicht viel gebracht. Ich bin nur mit viel Glück durchgeschlüpft und wieder zu den Unionstruppen in Annapolis zurückgekommen. Also hat uns Pinkerton stundenlang Deserteure und Kriegsgefangene der Rebellen befragen lassen und Schwarze, die mit Hilfe der ›Untergrundbahn‹ in den Norden geflüchtet waren.«
    »Und warum war das ein Problem?«
    »Weil McClellan Angst hatte. Er wollte mehr Truppen von Lincoln, und deswegen hat er seinen Kumpel Pinkerton angewiesen, die Zahlen, die uns die Deserteure genannt haben, gewaltig nach oben zu korrigieren. Lincoln hat zuerst nachgegeben, aber McClellan wollte immer neue Truppen haben und hat den Süden einfach nicht angegriffen, weil er dachte, sie wären uns haushoch überlegen. Ein fataler Irrtum. Ich hab Pinkerton gesagt, dass die Zahlen nicht stimmen, aber der wurde fuchsteufelswild und wollte nichts davon hören. Er hat mich zu Lincolns Personenschutz

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