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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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hinauf, hörte er das Horn eines Dampfschiffes. Bald würde es in der Stadt anlegen. Über den Baumwipfeln war bereits der schwarze Rauch zu erkennen, der die Ankunft schon von Weitem ankündigte. Tom ließ den Blick über den Mississippi schweifen, der kaum zwanzig Yard entfernt träge und hellbraun vorbeizog, und blinzelte.
    Etwas blendete ihn. Auf der anderen Seite des Flusses. Ein kleines, helles Blitzen, wie von einem Spiegel oder von einem Fernglas. Gab jemand ihm Zeichen, oder wurde er beobachtet? Tom legte eine Hand an die Stirn und beschirmte die Augen. Der Fluss war an dieser Stelle keine halbe Meile breit, dennoch war es zu weit, als dass er etwas erkennen könnte. Jemand stand dort auf einer kleinen Lichtung oder auf einer gerodeten Stelle im dichten Wald am Ufer. Aber wer das war oder was er tat, war nicht auszumachen. Das Blitzen war zu unregelmäßig für eine Nachricht; ein Morsecode war es nicht, so viel stand fest.
    Dann hörte es plötzlich auf.
    Da war nichts. Irgendjemand suchte das Ufer mit einem Fernrohr ab, na und?
    Tom seufzte, er ließ den Kopf sinken, und dabei fiel sein Blick auf etwas Merkwürdiges. Im Nachbargarten steckte ein Pflock, so dick wie ein Arm. Er war etwa kniehoch und rot lackiert. Der Pflock erfüllte ganz offensichtlich irgendeinen Zweck, aber Tom wusste nicht welchen.
    »Verdammt, Hollis, was ist das?«
    Hollis stellte die Ohren auf und zog die dreckige Schnauze aus einem Maulwurfshügel, tauchte sie aber sogleich wieder hinein, als Tom sich nicht regte. Tom blickte nach links und nach rechts und entdeckte in dem Garten, der schräg gegenüber von Pollys Garten lag, einen weiteren Pflock zwischen wuchernden Pflanzen, um die sich seit einer Ewigkeit niemand mehr gekümmert zu haben schien. Gleiche Höhe, gleiche Farbe.
    Tom lief an die Grenze des Grundstücks und sah einen dritten Pflock in dem ebenso verwilderten Garten daneben, mitten in einem von Unkraut überwucherten Beet.
    Er kratzte sich im Nacken.
    Was war das? Drei Pflöcke auf drei angrenzenden Grundstücken. Wenn man die Pflöcke mit einer Linie verbinden würde, würden sie einen rechten Winkel bilden.
    Oder ein Quadrat, bei dem eine Ecke fehlte.
    Die Ecke wäre genau auf Pollys Grundstück.
    Hollis blickte erschrocken auf und hielt in der Maulwurfsjagd inne, als Tom durch die Beete mit Kartoffeln und Karotten zu ihm stapfte, Kräuterstauden platt trat und mit den Händen das Grün zur Seite schob und den Boden untersuchte.
    Nach kurzer Zeit hatte er Gewissheit. Da war nichts. Kein Pflock. In Pollys Garten gab es keinen Pflock wie in den angrenzenden Grundstücken.
    »Sieh mal an, Hollis. Kein Pflock! Was sagst du dazu?«
    Hollis sagte nichts, aber er rieb sich die Schnauze an Toms Hosenbeinen sauber. Tom richtete sich auf und beschirmte erneut die Augen.
    Das Dampfschiff tauchte hinter den Bäumen zu seiner Linken auf und versperrte ihm die Sicht auf das andere Ufer. Ruhig und majestätisch lag es im Wasser, und große schwarzgoldene Lettern am Bug verrieten, dass es sich um die Columbia handelte. Zahlreiche Reisende standen an der Reling und verfolgten das Spektakel des Anlegemanövers. Manche winkten ihm zu. Dann zog der hundert Yard lange Koloss vorüber, und Tom hatte wieder einen freien Blick auf den Fluss. Das Blitzen war verschwunden, doch nun war da dicht am Ufer, an der Stelle, von wo es gekommen war, ein Mann in einem Ruderboot.
    Die Ruder wippten auf und nieder, der Mann hatte seine liebe Mühe mit den verebbenden Bugwellen des Dampfschiffes. Er schien etwas im Boot zu transportieren, lange Stangen, eine Art Gestell, nicht gut zu erkennen. Der Mann im Ruderboot hielt auf den Anleger in St. Petersburg zu.
    »Komm, Hollis, komm!«
    Aufgeregt verließ Tom den Garten, schlug das kleine Törchen hinter sich zu und rannte, so schnell sein Knie es zuließ, auf einem Pfad zwischen den Grundstücken in Richtung Uferstraße, während Hollis ihm munter bellend folgte. Schon nach wenigen Schritten war er bei den ersten, vereinzelt stehenden Häusern der Stadt, und gleich dahinter überquerte er die Gleise, die nach Westen in Richtung Palmyra durch den Hydesburg Hill verliefen
    Vor ihm, mitten auf der Main Street, tauchte der Alte mit dem Muli und den Steckrüben auf. Tom kam schlitternd zum Stehen und hüllte den Alten in eine Staubwolke.
    Der Mann begann zu husten. »’dammich! Was soll ’n der Blödsinn?«
    »Tut mir leid, Sir. Sagen Sie, die Grundstücke, die neben Tante Pollys Gärtchen liegen … wem

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