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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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schüttelte Tom den Kopf. Eine verschwundene Frau?
    Er nahm den nächsten Artikel. Es ging um Fanny George, eine junge Schwarze, siebzehn Jahre. Sie wurde eines Morgens im August 1861 von ihrem Besitzer vermisst. Mr Ezra Sparks, der mit seiner Familie am Ortsrand von St. Petersburg eine Stellmacherei und Sargschreinerei betrieb, fand sie nicht in der Hütte vor, in der sie ihre Schlafstatt hatte. Man vermutete, die junge Frau sei weggelaufen oder mithilfe der »Untergrundbahn« in den Norden geflohen. Mr Sparks beklagte den Verlust von etwa 700 Dollar Wert, den Fanny auf dem Markt gehabt hätte, und versprach eine Belohnung für Hinweise, die zu Fannys Ergreifung und Rückgabe führen würden.
    Noch eine verschwundene Frau. Tom schnappte sich den nächsten Zeitungsausschnitt. Ein Name sprang ihn an.
    Gracie Miller.
    Eine Klassenkameradin, die als Kind einmal ins Küchenfeuer gefallen war und sich dabei schrecklich verbrannt hatte. Der Artikel war vom Herbst 1857 .
    UNGEKLÄRTER VERMISSTENFALL
    Der Sheriff von St. Petersburg bittet die hochverehrten Leser des Chronicle um Mithilfe bei der Auflösung einer Vermisstensache. Gracie Miller, eine junge unverheiratete Dame mit blonden Haaren, ebenmäßigen Gesichtszügen und von geradem Wuchs, wird seit vergangenem Montag von ihrer Familie vermisst.
    Miss Miller, die bei ihrer Familie wohnt, war an jenem Tag mit einem Pferdekarren in das zehn Meilen entfernte Palmyra gefahren, um Obst und Gemüse an einen Gemischtwarenladen zu verkaufen und Stoffballen mit nach Hause zu nehmen. Mr Fawcett, dem Händler, der ihre Ware kaufte und der ihr vorschlug, sich den Wurf Ferkel auf der Farm seines Bruders anzusehen, um eines der Tiere zu kaufen, sagte sie, sie habe auf halbem Wege zurück noch eine Verabredung.
    Gracie Miller kam jedoch nicht wieder in St. Petersburg an. Ihren Wagen fand man am darauffolgenden Dienstag verlassen im Wald am Wegrand, eine halbe Meile entfernt vor einer kleinen Lichtung, von der man munkelt, dass Liebespaare sich dort gelegentlich zu einem Stelldichein treffen. Laut Auskunft des Sheriffs war das Pferd noch angebunden und graste friedlich. Auf dem aufgeweichten Waldboden beim Wagen entdeckten der Sheriff und seine Männer Fußspuren, doch das Pferd hatte mit den Hufen die meisten Fußabdrücke zertreten, und es war nicht zu erkennen, ob sie von der jungen Ms Miller oder von jemand anders stammten. Darüber hinaus waren weder Kleidungsstücke noch Blut oder Spuren eines Kampfes zu entdecken. Die eingesetzten Bluthunde hatten nicht angeschlagen. Von Gracie Miller fand sich keine Spur. »Es ist, als wäre sie vom Erdboden verschluckt«, äußerte sich einer der Männer aus dem Büro des Sheriffs.
    Der tragische Verlust ihrer Tochter grämt die Familie Miller sicherlich noch sehr lange, und die Redaktion des Chronicle drückt hiermit ihr Mitgefühl und ihr tiefes Bedauern aus. Wer Angaben zu Ms Millers Aufenthalt oder zu ungewöhnlichen Vorkommnissen am Tag ihres Verschwindens machen kann, möge sich bitte beim Sheriff melden. Diese Zeitung ist der Ansicht, dass die Behörden auch Gerüchten nachgehen sollten, denen zufolge sich eine Gruppe Potawatomi-Indianer in den Wäldern westlich von Palmyra herumtreibt. Dort wären möglicherweise weitere Antworten zu finden.
    Debbie Chisholm. Fanny George. Gracie Miller.
    Alle waren sie verschwunden.
    Und jetzt Hattie? Und Polly? Wie hing das alles zusammen?
    Hing es überhaupt zusammen?
    Tom ließ den Artikel sinken und kraulte Hollis, der die Schnauze auf seinen Schoß gelegt hatte. Im fahlen Licht der Petroleumlampe entdeckte Tom eine schimmernde dünne Bleistiftmarkierung in dem Artikel, die ihm beim Lesen nicht aufgefallen war. Polly hatte einen Kreis um ein Wort in diesem Artikel gemalt. Das Wort war »Verabredung« in dem Satz: »Mr Fawcett, dem Händler, der ihre Ware kaufte und der ihr vorschlug, sich den Wurf Ferkel auf der Farm seines Bruders anzusehen, um eines der Tiere zu kaufen, sagte sie, sie habe auf halbem Wege zurück noch eine Verabredung.«
    Verabredung.
    Von dem Kreis führte eine dünne, kaum zu erkennende Bleistiftlinie zum Rand des Artikels. Tom drehte den Zeitungsausschnitt um. Auf der Rückseite des Artikels endete die Linie in einem Pfeil, der auf drei Worte wies, die in die freie weiße Fläche einer Anzeige für Damenhüte geschrieben worden waren.
    Tom hielt den Atem an.
    Drei Worte.
    ER IST HIER
    ~~~
    Der Mond spiegelte sich in den träge dahinziehenden Wassern des Flusses, und die

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