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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Stola überwarf. Sie bedachte ihn mit einem enttäuschten Blick.
    Tom hob die Handflächen zur Decke. »Was? Was hab ich denn gemacht?«
    »Du bist kindisch und grausam zu ihm, Tom. Und ich muss mich um den Chronicle kümmern, gute Nacht.« Sie zog die Stola enger um sich und wandte sich zur Hintertür.
    Tom war völlig verblüfft. Grausam? Kindisch ? Becky war schon halb aus der Tür, als er ihr hinterherrief. »Soll ich dich begleiten, Becky? Ich mein … zu deiner Redaktion? Ist ja dunkel und so …«
    Becky blieb stehen und sah ihn vernichtend an. »Wehe, du wagst es. Und ich heiße Rebecca, merk dir das.«
    Sie schlug die Hintertür zu. Tom zuckte zusammen. Fassungslos blieb er allein im Wohnzimmer sitzen, nur das stete Tocktock der Standuhr und Hollis’ Hecheln füllten die Stille des Raums. Der Hund versuchte immer noch, das Fleischstückchen mit den Vorderpfoten unter dem Schrank hervorzuangeln. Anscheinend hatte Hollis es mit der Pfote noch weiter daruntergeschoben. Tom seufzte und ging zum Schrank.
    Er machte einen Bogen um die Kratzspuren auf den Dielen, die Polly im Todeskampf hinterlassen hatte, und kniete sich neben Hollis. Er senkte den Kopf, legte die Wange an den Boden und spähte unter den Schrank. Dort lag das Stückchen Steak, für Hollis in unerreichbarer Ferne.
    Tom schob Hollis weg, fasste mit dem Arm unter das wuchtige Möbel und angelte den Klumpen hervor.
    »Lass es dir schmecken, Kumpel.«
    Er warf Hollis das Fleischstückchen hin, immer noch kniend, und der stürzte sich gierig darauf. Tom stutzte. Irgendetwas war seltsam. Etwas, was er gerade gesehen hatte. Er betrachtete Pollys Kratzspuren auf den Dielen, dann blickte er nochmals zum Schrank. Auch da waren Kratzspuren auf dem Boden. Um die Schrankfüße herum. So als hätte man das Möbel mehrmals von der Wand weg- und dann wieder zurückgeschoben.
    Aber warum sollte jemand so etwas tun?
    Tom umfasste einen der Füße und zog den überraschend leichten Schrank kurzerhand ein Stückchen nach vorn. Dann hielt er inne. Neben dem Quietschen der Schrankfüße auf dem Dielenboden war auch ein metallisches Scheppern zu hören gewesen. Immer noch auf den Knien spähte er in den Spalt, der nun zwischen der Rückwand des Schrankes und der Mauer entstanden war. Eine flache Schatulle aus Blech lag hinter dem Schrank auf dem Boden.
    Tom griff nach der Blechbüchse. Hatte Polly sie dort versteckt? Oder er selber vor so langer Zeit, dass er sich nicht daran erinnerte? »Sweet May Toilet Soap by Hodgson & Simpson« stand in geschwungenen Buchstaben auf dem Deckel, dazu Bilder von Veilchen. Von ihm war sie nicht, da war sich Tom sicher. Die Büchse war nicht schwer, Tom schüttelte sie kurz und es klapperte dumpf.
    Dann öffnete er den Deckel.
    Und sein Herz setzte einen Schlag aus.
    ~~~
    Er blickte in das Gesicht seiner Eltern.
    Maggie Sawyer saß neben ihrem Mann Walter, der in einer Uniform im Range eines Lieutenants für den Fotografen posierte. Zwei kleine Jungen, der eine blond, der andere mit dunklen Haaren, saßen in weißen Kleidern auf ihrem Schoß. Die Gesichter der Erwachsenen waren starr auf die Linse gerichtet, die Körperhaltung war angespannt. Man konnte die Gestelle des Fotografen, die Kopf und Nacken für die lange Belichtungszeit ruhig hielten, förmlich spüren. Die Gesichter der Kinder waren dennoch unscharf, verschwommen, so als wäre ein leichter Nebel vor ihren Köpfen aufgezogen. Er und Sid hatten sich wohl bewegt, während das Foto gemacht wurde.
    Tom schluckte, schlug unwillkürlich die Hand vor den Mund und setzte sich auf den Boden. Er hatte vergessen, dass es ein Foto von ihnen gab. Polly hatte es ihnen oft gezeigt, als er und Sid noch klein waren, doch irgendwann wollten es beide Jungen nicht mehr sehen. Ihre eigenen schemenhaften Gesichter waren ihnen unheimlich geworden. Und zu viele Erinnerungen waren wach geworden, die Tom einen Stich ins Herz versetzten und die ein leeres Gefühl im Kopf hinterließen, wenn er die Gesichter seiner Eltern betrachtete. Dann hatte er die Fotografie vergessen. Aber Polly hatte sie natürlich aufbewahrt.
    Das Bild war in Marion City aufgenommen worden, der Stadt, die der Mississippi verschlungen hatte, bevor sie überhaupt richtig aufgebaut war. Eine kühne Stadtgründung in den Dreißigerjahren, zwölf Meilen nördlich von St. Petersburg am Ufer des Mississippi. Toms Eltern hatten sich überzeugen lassen, von St. Petersburg, das damals nicht mehr als dreißig Hütten umfasste, ins neu

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