Der Mann, der sein Leben vergaß
Gegensatz zu 27 im gleichen Zeitraum vorher! Alles kalter Kaffee, Calbez – Ihre Leidenschaft für die Jacht Anita wird langsam eine Psychose!«
Primo Calbez, der gerade einen neuen Apfel aus der Kiste nahm und ihn aufschnitt, nahm die beiden Hälften vorsichtig in seine Hände und trat zu Selvano hin. Triumphierend hielt er dem Kommissar den Apfel hin.
»Bitte, was sagen Sie dazu?« fragte er mit breitem Lächeln.
Selvano blickte widerwillig auf den aufgeschnittenen Apfel, doch dann stutzte er. Dort, wo sich sonst das Gehäuse mit den Kernen befand, stak eine kleine runde Kapsel aus Leichtmetall. Mit einem Gehäusestecher war das Innere des Apfels kunstvoll ausgestochen, die Kapsel hineingelegt und dann mit den oberen und unteren Apfeldeckenstücken wieder unsichtbar geschlossen worden.
Mit spitzen Fingern nahm Selvano die Kapsel aus dem Apfel und öffnete sie vorsichtig. Eine kleine Ampulle, gefüllt mit einer wasserklaren Flüssigkeit, kam zum Vorschein.
Erstaunt blickte Selvano zu dem grinsenden Primo Calbez.
»Reines Morphium«, sagte er dann langsam.
»Ja – das ist die fünfte Ampulle aus dieser Apfelkiste.«
»Toll! – Und wo haben Sie die Äpfel her?«
»Von der Jacht Anita!«
Eine ganze Weile war es still im Zimmer. Stumm starrte Selvano auf die kleine Rauschgiftampulle zwischen seinen Fingern.
»Wenn das wahr ist, Calbez«, sagte er endlich leise. »Wenn das von uns hundertprozentig bewiesen werden kann, daß diese Äpfel von der Jacht kommen, dann können wir zugreifen! Dann aber« – er blickte den Detektiv an –, »habe ich Ihnen vieles abzubitten, und Ihre sprichwörtliche Spürnase hat wieder einmal den richtigen Wind aufgefangen! Wie kamen Sie überhaupt zu den Äpfeln?«
Primo Calbez setzte sich und legte die beiden Apfelhälften neben den Aktenstoß, der den Schreibtisch überhäufte.
»Seit fünf Jahren beobachtete ich diesen José Biancodero. Ich tat es ohne Ihr Wissen, Chef, denn Sie hätten mich ja doch ausgelacht …«
»Bestimmt!«
»Sehen Sie! Ich ließ mich nicht beeindrucken von der Einsamkeit Biancoderos – ich lag auf der Lauer, hatte meine Spitzel in Cintra, Estoril und Azenhas do Mar, beobachtete ohne Unterlaß die Lebensweise des einsamen, vergrämten Mannes und kam – wie Sie – vor einigen Monaten zu der Überzeugung, daß ich gegen Schatten kämpfe. Du bist ein Narr, sagte ich mir – rennst einem dummen Gedanken nach, nur weil er dir so gut gefällt und du ein alter Dickkopf bist, und siehst täglich, wie sich das absolute Gegenteil bewahrheitet! – Ich baute meine Zelte ab, zog meine Spitzel aus Cintra und Azenhas do Mar zurück und sagte mir: Schluß! Irren ist das Vorrecht des Menschen! Da bekam ich die Meldung, daß Biancodero seit fünf Jahren zum erstenmal Besuch erhalten habe! – Besuch auf dem Felsenschloß! Das machte mich munter! Wer es war, konnte ich nicht feststellen – das einzige, was mir auffiel, war die holländische Autonummer. Der Gast blieb volle zehn Tage bei José Biancodero. Am elften Tage in der Nacht – wie paradox – fuhr er wieder ab, so plötzlich, daß eine Verfolgung ausgeschlossen war.«
Selvano starrte vor sich hin und kaute nachdenklich an der Unterlippe.
»Wissen Sie die Nummer, Calbez? Man könnte in Holland nachforschen.«
»Habe ich bereits! Der Wagen kam aus Amsterdam. Aber die Nummer war falsch – 077 915 gibt es in Amsterdam und in ganz Holland nicht!«
»Aha!« Selvano sprang auf. »Wenn einer mit einer falschen Nummer im Ausland einen Besuch macht, muß er irgend etwas zu verbergen haben. Das ist eine faule Sache!« rief er. »Calbez, warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?!«
»Sie hätten mich ausgelacht.«
»Kindskopf! Das ist doch ein Beweis! Das verschafft uns doch das Recht, einmal zwanglos das Felsennest zu besichtigen.«
»Das ist noch nicht alles«, fuhr Primo Calbez mit seinem Bericht fort. »Ich wollte tiefer in diese geheime Zusammenkunft dringen und wartete weiter. Was folgte, ging Schlag auf Schlag: Gründung einer Obst-Export-GmbH unter Leitung Biancoderos. Mitgesellschafter der Konsul Manolda, merkwürdigerweise in Den Haag, also Holland, wohnend. Die Jacht Anita, die fünf Jahre still im Hafen lag, wurde wieder flott und seetüchtig gemacht und fuhr zunächst nach Las Palmas. Das fiel mir auf, denn auch Professor Destilliano pendelte zwischen Las Palmas und Lissabon hin und her. Las Palmas wiederum ist ein Umschlaghafen für Obst. – Ich erkundigte mich weiter, ließ mir die
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