Der Mann, der sein Leben vergaß
plötzlich die Lichter des dunklen Wagens voll aufblitzen, hörten einen dumpfen Schlag, der im aufdonnernden Motorengeräusch unterging, und dann schoß der Wagen in Richtung Estoril davon, ein flimmernder Pfeil, der in dem Gewirr der Schuppen verschwand.
Mit ein paar Sprüngen waren sie an der Stelle, wo Selvano sein mußte, und sahen ihn betäubt und aus einer Stirnwunde stark blutend auf dem Pflaster liegen.
Drei starke, durchdringende Trillerpfeifen gellten durch die Nacht.
In den Ecken und Winkeln des Hafens wurde es lebendig. Neue Pfeifen antworteten und alarmierten die nächsten Polizeiposten. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, immer neue, weitere Kreise erzeugt, so pflanzte sich das Trillern der Pfeifen fort und jagte die Streifen der Polizei heraus.
Alarm im Hafen!
Großalarm in Lissabon!
Im Polizeipräsidium fuhren die Streifenwagen vor.
Die ersten Meldungen wurden telefonisch durchgegeben.
Überfall auf Kommissar Selvano im Hafen, drittes Becken!
Sucht große, schwarze Limousine mit holländischer Nummer. 077 915!
Nummer ist falsch … Wagen floh in Richtung Estoril – Cintra – Azenhas do Mar!
Die Telegrafen tickten. Die Streifenwagen heulten durch die Stadt, den Ausfallstraßen Lissabons zu.
»Sperrt alle Chausseen …« tickte der Telegraf … »Haltet alle Wagen an! Sucht große schwarze Limousine mit Nummer 077 915! … 077 915 … Schwarze Limousine … Richtung Estoril … Sperrt alle Straßen …«
Durch die Nacht jagte die schwarze Limousine.
Mit zusammengekniffenen Augen hockte Konsul Manolda hinter dem Steuer und umklammerte mit beiden Händen das Steuer. Von der Stirne aus liefen kleine Bäche über sein Gesicht … Schweiß aus Angst und Anstrengung.
Eine Schweinerei, dachte er. Mußte gerade jetzt dieser Spürhund kommen?!
Wo soll man hinfahren? Nach Cintra zu Dr. Albez ist unmöglich! Er weiß von nichts, und außerdem muß der Verdacht von ihm und seiner Jacht Anita abgelenkt werden. Auf dem Schiff sind 17 Apfelsinenkisten mit Opium und Kokain.
Manolda wischte sich den Schweiß aus den Augen. Seine Hände zitterten.
Nur fort, dachte er weiter, ganz gleich, wohin … Wenn nur die Stadt schon hinter einem läge … es gibt in Portugal so viele Stellen, wo man sich sicher und gefahrlos verstecken kann.
Fest preßte er seinen Fuß auf den Gashebel. Die Gärten und Villen der Vorstadt flogen an ihm vorbei. Schnurgerade lag die Chaussee vor ihm, ein im Mondlicht silbern flimmerndes Band. Leicht fiel die Straße ab, sie neigte sich der Küste zu … dem unendlichen Meer.
Knirschend rasten die Räder über den spiegelnden Asphalt. Weit beugte sich Manolda über das Steuer vor und zuckte plötzlich zurück. Maßloses Entsetzen verzerrte sein Gesicht und sprang dann über in eine jämmerliche, kopflose, zitternde Angst.
Weit vorn auf der Straße schwenkte man rote Laternen!
Halt! hieß das! Anhalten! Polizei – Kontrolle! Die Straße ist gesperrt …
Manoldas Augen irrten von der Straße ab und blickten zur Seite. Ein Ausweichen gab es nicht, ein Zurück noch weniger … das Leben war verspielt … die Kugel war auf Schwarz gefallen … das letzte, was ihm blieb, war das ewige Geheimnis seines Lebens. Auch über den Tod hinaus …
Mit starren Augen griff Manolda hinter sich, hob einen kleinen Benzinkanister zu sich heran und schüttete den Inhalt in den Wagen. Dann legte er seine Papiere in die ölige Lache, holte eine Ampulle aus der Tasche, biß das dünne Glas auf und schluckte mit verzerrtem Gesicht die Flüssigkeit, im gleichen Augenblick ließ er sein Feuerzeug aufflammen und in das hochauflodernde Benzin fallen.
Ein brennender Wagen raste in den Sperrgürtel der Polizei und zerschellte nicht weit von ihm an einem Baum. Geborgen wurde eine unbekannte, verkohlte Leiche.
6
Kommissar Selvano war denkbar schlechtester Laune. Er stand dem vor sich niederblickenden Primo Calbez gegenüber und klopfte beim Sprechen aggressiv auf das dicke Aktenstück Destilliano' Biancodero. Sein Gesicht war vor Erregung gerötet.
»Der Erfolg ist Null!« rief er. »Mag Ihr Verdacht richtig sein oder nicht: Wir stehen nach wie vor einem Rätsel gegenüber! Fassen wir einmal zusammen, ganz nüchtern, Calbez, was wir wissen und was wir haben: drei ungeklärte Selbstmorde, eine Jacht, auf der Sie Rauschgift fanden – und zwar nur in kleinen Mengen –, Obstkisten mit Morphium, deren Herkunft nicht voll beweisbar ist, einen Mann, der den Namen Biancodero hat und aus Spanien kommt, ein
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