Der Mann, der sein Leben vergaß
brennendes Auto mit einer unkenntlichen Leiche, eine gefälschte holländische Nummer, eine Felsenvilla, die einwandfrei und ohne Spuren ist … alles Dinge ohne Zusammenhang, fast ohne Sinn … eben – ein Nichts! Denken Sie einmal nüchtern darüber nach, Calbez … Haben Sie bei Ihrem zweiten Einbruch bei Direktor Bonheas etwas gefunden?«
»Nein, nicht ein Tüpfelchen«, gestand Primo Calbez halblaut.
»Na also! Die Kisten mit dem Rauschgiftobst waren fort, Papiere waren nicht vorhanden. José Biancodero, den Sie des Rauschgiftschmuggels verdächtigen, ist ein Freund des ehrbaren Konsuls Manolda! Das müßte genügen! Konsul Manolda soll sich, wie sein Hotel mitteilte, zur Zeit geschäftlich in Teneriffa aufhalten.«
»Aha!«
Selvano zuckte auf.
»Nicht aha, Calbez! Ihr Aha macht mich nervös!«
»Von Teneriffa kam unter anderem auch Obst mit Morphiumampullen«, meinte Calbez schlicht.
»Sie Spinner!« schrie Selvano. »Fangen Sie schon wieder an?! Konsul Manolda ist Mitglied des königlichen Traditionskabinetts! Wollen Sie ihn …?«
»Ich kannte Fürsten, die Unterschlagungen machten! Warum soll ein kleiner Konsul nicht mit Rauschgift handeln? Haben Sie mal in Teneriffa angefragt, ob Manolda auch wirklich dort ist?«
Selvano sah mitleidig lächelnd auf den Detektiv herab. Welche Frage!
»Ich erwarte die Antwort jeden Augenblick. Auch José Biancodero lasse ich beobachten. Nur gut, daß ich in dieser verhängnisvollen Nacht nicht seine Jacht betreten habe – wir könnten heute eklig in der Tinte sitzen und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Belästigung auf dem Pelz haben! – Calbez, Ihre sagenumwobene Spürnase in allen Ehren: Hier haben Sie ganz gewaltig danebengeschnüffelt! – Oder glauben Sie noch immer, daß José Biancodero ein schwerer Junge ist?«
»Ja!«
»Calbez! Ich habe Sie für weniger idiotisch gehalten!«
»Danke, Chef! Aber ich habe so meine eigenen Gedanken. Sie mögen fantastisch sein, für andere Leute einfach verrückt – ich klammere mich an sie und habe das Gefühl, irgendwie auf der richtigen Spur zu sein!«
»Und die wäre?« fragte Selvano mit leisem Spott.
»Daß José Biancodero gar nicht José Biancodero ist …«
»Sondern …?«
»Ein anderer, ein Unbekannter, von mir aus auch ein Unterschobener! Erinnern Sie sich, daß Anita Almiranda ihn in Gesellschaft José, aber privat und allein Fernando nannte?«
»Allerdings. Und …?«
»Das macht mich stutzig! Das hat seinen Grund!«
»Vielleicht den der Liebe! Fernando klingt schmeichelnder als das harte José.«
»Vielleicht! Ebensogut ist es aber denkbar, daß dieser Mann zwei Leben führt! Ich habe damals in Sevilla nachgefragt, woher er angeblich stammt. Die Auskunft war äußerst mager. Er sei plötzlich verschwunden, hieß es. Ohne Grund. Er war ein Mensch, der nie auffiel. Und plötzlich geht er in Marseille an Bord der ›España‹ und landet in Lissabon als Freund Professor Destillianos und Verlobter Anitas! Kaum ein Jahr später erschießt sich in der gleichen geheimnisvollen Weise nach einem Wortwechsel mit seiner Nichte Professor Destilliano, und Anita Almiranda stürzt sich in der gleichen Nacht mit ihrem Sportwagen vom Felsen ins Meer. José Biancodero ist Alleinerbe des riesigen Vermögens, kauft sich ein Felsenschloß und lebt, weitab von jeder Kontrolle als reicher Einsiedler. Mit Sevilla, seiner Vaterstadt, hat er keine Verbindung mehr, Konsul Manolda ist sein einziger Freund … fünf Jahre ist Ruhe in unserem Dezernat! Doch plötzlich holt Biancodero seine Jacht aus dem Dock und gondelt wieder in der Welt herum, verläßt seine Felsenvilla und schüttelt die fünf Jahre Einsamkeit wie Wassertropfen von sich … Und plötzlich wird es bei uns lebendig: Das Rauschgift taucht wieder in Massen auf!«
Selvano hatte mit Spannung zugehört und nickte nun Primo Calbez zu.
»Zugegeben, Calbez, eine logische, verblüffend klare Gedankenkette … aber kein Beweis! Was Ihnen und mir fehlt, ist entweder eine Überführung Biancoderos in flagranti oder eine klare Anzeige, aus der die Schuld einwandfrei hervorgeht! Das heißt, wenn er überhaupt trotz ihrer vernichtenden Indizienkette mit einer Schuld belastet ist! Solange ein Konsul Manolda die Bürgschaft übernimmt, tappen wir überhaupt im dunkeln!«
Selvano wollte das Aktenstück in den Schrank tragen, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Selvano nickte und blickte Primo Calbez an.
»Wetten, daß man wieder einen kleinen Händler
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