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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Vorhandensein von Phantasie bei Autisten - ist keineswegs selten. Ich bin im Laufe der Jahre Dutzenden solcher Fälle begegnet, ohne irgendwelche besonderen Anstrengungen zu unternehmen, sie aufzuspüren.
    Autisten sind zwangsläufig selten offen für eine Einflußnahme von außen. Es ist ihr «Schicksal», isoliert und damit unverfälscht zu sein. Ihre «Vision», wenn sie von außen erkennbar ist, kommt von innen und erweckt den Eindruck des Urwüchsigen. Je besser ich sie kennenlerne, desto mehr erscheinen sie mir wie eine seltsame, urwüchsige, völlig nach innen gerichtete Spezies, die mitten unter uns lebt und sich von allen anderen Menschen unterscheidet.
    Früher galt Autismus als Kindheitsschizophrenie, aber phä-nomenologisch verhält es sich genau umgekehrt. Der Schizophrene beklagt sich immer über einen «Einfluß » von außen: Er ist passiv, ein Spielball seiner Umgebung, er kann nicht er selbst sein. Der Autist würde sich - wenn er es täte - über das Fehlen von Einfluß, über die absolute Isolation beklagen.
    «Kein Mensch ist eine Insel», schrieb Donne. Und doch ist dies genau die Situation des Autisten: Er ist eine Insel, er ist vom Festland abgeschnitten. Beim «klassischen» Autismus, der sich, und dann oft total, bis zum dritten Lebensjahr manifestiert, erfolgt die Isolation zu einem so frühen Zeitpunkt, daß unter Umständen keine Erinnerung an das Festland mehr vorhanden ist. Beim «sekundären» Autismus, der, wie in Joses Fall, in einem späteren Lebensabschnitt durch eine Hirnkrankheit entsteht, bleiben gewisse Erinnerungen an das Festland erhalten, die man als eine Art Nostalgie bezeichnen könnte. Dies erklärt vielleicht, warum Jose zugänglicher ist als die meisten Autisten und warum er, zumindest in seinen Bildern, manchmal Interaktionen zuläßt.
    Bedeutet vom Festland abgeschnitten, eine Insel zu sein, notwendigerweise den Tod? Es kann, muß aber nicht tödlich sein. Denn obwohl die «horizontale» Verbindung mit anderen, mit der Gesellschaft und der Kultur verlorengeht, kann es lebenswichtige, intensivierte «vertikale» Verbindungen geben: direkte Verbindungen mit der Natur und mit der Realität, die unmittelbar sind und sich dem Einfluß anderer entziehen. Dieser «vertikale» Kontakt ist bei Jose besonders ausgeprägt daher die große Treffsicherheit, die absolute Klarheit seiner Wahrnehmungen und Zeichnungen. Hier zeigt er nicht die kleinste Unsicherheit oder Ziellosigkeit, dies ist eine Urkraft, die unabhängig von den Beziehungen zu anderen Menschen existiert.
    Dies führt uns zu unserer letzten Frage: Gibt es einen «Platz» in der Welt für einen Menschen, der wie eine Insel ist, der nicht akkulturiert und Teil des Festlands werden kann? Kann das «Festland» das Außergewöhnliche, das Einzigartige aufnehmen und ihm Raum geben? Es gibt hier Parallelen zu den sozialen und kulturellen Reaktionen auf Genies. (Damit will ich natürlich nicht behaupten, daß Autisten Genies sind. Sie sind jedoch wie diese mit dem Problem der Einzigartigkeit konfrontiert.) Konkret gefragt: Was wartet auf Jose? Gibt es irgendeinen «Platz» für ihn auf der Welt, wo man Verwendung für ihn hat, ohne seine Autonomie in Frage zu stellen?
    Könnte er, mit seinem scharfen Auge und seiner großen Liebe zu Pflanzen, Illustrationen für botanische, zoologische oder anatomische Werke herstellen? (Man beachte die Zeichnung, die er nach einer Graphik in einem Fachbuch anfertigte.) Könnte er an wissenschaftlichen Expeditionen teilnehmen und seltene Arten malen? Mit seiner uneingeschränkten Konzentration auf das, was er vor sich hat, wäre er für solche Aufgaben ideal geeignet.

    Ein anderer, vielleicht auf den ersten Blick befremdlicher, aber nicht abwegiger Vorschlag: Wäre er, mit seiner Eigenart und seiner Veranlagung, nicht geradezu prädestiniert, Märchen, biblische Geschichten und Mythen zu bebildern? Oder vielleicht könnte er (da er nicht lesen kann und Buchstaben für ihn nur schöne, aber bedeutungslose Symbole sind) die großen Majuskeln in den Prachtausgaben von Brevieren und Meßbüchern verzieren und illustrieren? Er hat bereits wunderschöne Altarbilder in Mosaiktechnik aus farbigen Steinchen und gefärbtem Holz geschaffen. Er hat reich verzierte Inschriften in Grabsteine gemeißelt. Sein gegenwärtiger «Job» besteht darin, im Handdruck die verschiedensten Aushänge für das Schwarze Brett der Station anzufertigen und er bringt darauf Schnörkel und Verzierungen an, als handle es

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