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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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einer echten, natürlichen Haltung ausgleichen sollte. Da die Natur versagt hatte, behalf sie sich mit einem «Kunstgriff», aber das Gekünstelte ihrer Haltung orientierte sich an der Natur und wurde ihr bald zur «zweiten Natur». Das galt auch für ihre Sprechweise anfangs war sie fast stumm gewesen.
    Auch ihre Stimme hatte etwas Unnatürliches, so als stehe sie auf einer Bühne und spreche ins Publikum. Sie wirkte theatralisch, nicht weil sie es auf Effekte abgesehen hatte oder bestimmte Motive verfolgte, sondern weil sie ihre natürliche Stimmhaltung noch immer nicht wiedererlangt hatte. Auch ihr Gesicht blieb (obwohl sie von intensiven Gefühlen bewegt war) meist ausdruckslos, da ihr die Eigenwahrnehmung ihrer Gesichtsmuskeln fehlte [10] , es sei denn, sie setzte künstliche Ausdrucksverstärkungen ein (so wie sich Menschen, die an Aphasie leiden, übertriebener Wendungen und Ausdrucksweisen bedienen).
    Aber all dies konnte bestenfalls Stückwerk sein; es konnte das Leben erträglich, nicht aber normal machen. Christina lernte zu gehen, mit Bus und Bahn zu fahren und ihr gewohntes Leben wiederaufzunehmen. Allerdings erforderte das eine außergewöhnliche Wachsamkeit und merkwürdige Methoden - sobald ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wurde, drohte sie die Kontrolle über ihre Bewegungen zu verlieren. Wenn sie also beispielsweise beim Essen sprach oder sich in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigte, umklammerte sie Messer und Gabel mit aller Gewalt, so daß das Blut aus ihren Fingerspitzen wich; sie konnte ihren Griff jedoch nicht lockern, denn dann bestand die Gefahr, daß sie das Besteck fallen ließ - es gab für sie keinen Mittelweg, keine Abstufung.
    Obwohl also keine neurologische Besserung (im Sinne einer Gesundung der geschädigten Nervenfasern) zu verzeichnen war, kam es, unterstützt durch vielfältige Formen intensiver Therapie- sie blieb fast ein Jahr lang auf der Rehabilitationsstation der Klinik - zu einer beachtlichen funktionellen Wiederherstellung, das heißt, es gelang ihr, bestimmte Handlungen auszuführen, indem sie deren Steuerung anderen Sinnesorganen übertrug. So konnte Christina schließlich die Klinik verlassen, nach Hause gehen und wieder bei ihren Kindern sein.
    Sie arbeitete wie zuvor an ihrem Heimcomputer, den sie mit einem Tempo und Geschick zu bedienen lernte, das erstaunlich war, wenn man bedenkt, daß sie alle ihre Bewegungen mit den Augen überwachen mußte. Aber wie fühlte sie sich? Hatten die Substitutionen das Gefühl der Körperlosigkeit, von dem sie anfangs gesprochen hatte, verschwinden lassen?
    Die Antwort lautet: Nicht im geringsten. Infolge des noch immer bestehenden Verlustes der Eigenwahrnehmung hat sie das Gefühl, ihr Körper sei tot, sei nicht wirklich, gehöre nicht ihr - sie ist unfähig, eine Verbindung zwischen ihm und sich selbst herzustellen. Es fehlen ihr die Worte, um diesen Zustand zu beschreiben. Sie muß auf Analogien zurückgreifen, die sich auf die anderen Sinnesorgane beziehen: «Es ist, als sei mein Körper sich selbst gegenüber blind und taub ... Er hat kein Gefühl für sich selbst. » Diese Beraubtheit, diese sensorische Finsternis (oder Stille), die einer Blindheit oder Taubheit gleicht, entzieht sich der direkten Schilderung. Auch uns fehlen hierfür die Worte. Und die Gesellschaft kennt diesen Zustand nicht und bringt auch kein Verständnis dafür auf. Mit Blinden hat man wenigstens Mitleid- man kann sich ihre Lage vorstellen und behandelt sie dementsprechend. Aber wenn Christina langsam und unbeholfen in einen Bus steigt, hört sie nur verständnislose und wütende Bemerkungen: «Was ist los mit Ihnen? Sind Sie blind - oder haben Sie einen in der Krone?» Was soll sie darauf antworten- «Ich habe keine Eigenwahrnehmung mehr»? Daß die Menschen kein Mitgefühl für sie haben und sie nicht unterstützen, ist eine zusätzliche Belastung. Sie leidet unter einer Behinderung, wenn diese auch nicht offensichtlich ist - schließlich ist Christina nicht blind oder gelähmt oder auf eine andere, für jedermann sichtbare Art verkrüppelt-, aber man behandelt sie wie eine Idiotin oder Simulantin. Diese Erfahrung machen alle, die mit der äußerlich nicht erkennbaren Beeinträchtigung einer Sinneswahrnehmung leben müssen (auch Patienten, bei denen der Gleichgewichtssinn gestört oder denen das Labyrinth entfernt worden ist).
    Christina ist zu einem Leben in einem unbeschreiblichen, unvorstellbaren Reich verurteilt - «Nicht-Reich» oder «Nichts»

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