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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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sein. Was hätte Wittgenstein wohl in ihrer Situation gesagt?
    Auf eine außergewöhnliche Weise hat sie etwas geschafft und ist gleichzeitig gescheitert. Sie hat es geschafft zu funktionieren, nicht aber zu sein. Es ist ihr in einem fast unglaublichen Ausmaß gelungen, ihr Leben so weit in den Griff zu bekommen, wie es Willenskraft, Mut, Ausdauer, Unabhängigkeit und die Anpassungsfähigkeit der Sinne und des Nervensystems zulassen. Sie befand und befindet sich noch immer in einer beispiellosen Situation, hat unvorstellbare Schwierigkeiten und Hindernisse überwunden und sich als Mensch mit unerschütterlichem Lebenswillen erwiesen.
    Und doch ist sie noch immer behindert und wird es auch bleiben. Aller Kampfgeist und Einfallsreichtum, alle Substitutionen oder Kompensationen, die das Nervensystem zuläßt, können nichts daran ändern, daß sie ihre Eigenwahrnehmung - jenen unerläßlichen sechsten Sinn, ohne den ein Organismus unwirklich und führungslos ist - vollständig und für immer verloren hat.
    Christina ist 1985 ebenso «ausgehöhlt», wie sie es vor acht Jahren war, und sie wird es bis ans Ende ihres Lebens bleiben. Ihr Fall ist beispiellos. Sie ist meines Wissens die erste, der dies widerfahren ist - das erste «körperlose» menschliche Wesen.
 Nachschrift
    Inzwischen hat Christina gewissermaßen Gesellschaft bekommen. H. H. Schaumberg, der erste, der dieses Syndrom wissenschaftlich beschrieben hat, berichtete mir, daß es jetzt überall zahlreiche Patienten mit schweren sensorischen Neuropathien gibt. In den gravierendsten Fällen treten, wie bei Christina, Störungen des Körperschemas auf. Die meisten dieser Patienten sind Anhänger bestimmter Ernährungslehren oder glauben, es sei gesund, Vitaminpräparate in hoher Dosierung zu schlucken, und haben ungeheure Mengen Vitamin B6 (Pyridoxin) eingenommen. So gibt es jetzt einige Hundert «körperloser» Männer und Frauen - obwohl die meisten, im Gegensatz zu Christina, auf eine Besserung ihres Zustandes hoffen können, sobald sie aufhören, sich mit Pyridoxin zu vergiften.
 4
Der Mann, der aus dem Bett fiel
    Vor vielen Jahren, während meiner Studienzeit, rief mich eine ziemlich aufgeregte Krankenschwester an und erzählte mir folgende merkwürdige Geschichte: Ein neuer Patient - ein junger Mann - sei morgens aufgenommen worden. Er habe einen sehr netten Eindruck gemacht und sich den ganzen Tag über völlig normal verhalten - bis er vor einigen Minuten aus einem Nickerchen erwacht sei. Seitdem sei er erregt und benehme sich sonderbar, als sei er ein anderer Mensch. Er habe es irgendwie fertig gebracht, aus dem Bett zu fallen, sitze jetzt laut brüllend auf dem Boden und weigere sich beharrlich, sich wieder hinzulegen. Ob ich nicht bitte vorbeikommen und nach ihm sehen könne?
    Als ich kam, lag der Patient auf dem Boden neben seinem Bett und starrte eines seiner Beine an. In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Wut, Sorge, Verwunderung und Heiterkeit - wobei Verwunderung mit einer Spur Bestürzung überwog. Ich fragte ihn, ob er sich nicht wieder ins Bett legen wolle und ob er dabei Hilfe brauche, aber er schien aufgebracht über diese Vorschläge und schüttelte den Kopf. Also hockte ich mich neben ihn auf den Boden und bat ihn, mir seine Geschichte zu erzählen. Er war am Morgen für einige Tests in die Klinik gekommen. Er hatte über keine Beschwerden geklagt, aber die Neurologen hatten den Eindruck gewonnen, er habe ein «träges» linkes Bein genau so hatten sie sich ausgedrückt-, und ihm nahe gelegt, gleich zu bleiben. Den ganzen Tag über war es ihm gut gegangen, und gegen Abend war er eingeschlafen. Auch beim Aufwachen war noch alles in Ordnung gewesen - bis er sich bewegt hatte. Denn im Bett hatte er, wie er sich ausdrückte, «irgendein Bein» gefunden - ein abgetrenntes menschliches Bein. Ein entsetzlicher Fund! Er war zunächst erstarrt vor Überraschung und Ekel - so etwas Unglaubliches war ihm selbst in seinen wildesten Träumen noch nie begegnet! Vorsichtig hatte er das Bein angefaßt. Es schien vollkommen geformt zu sein, hatte sich aber «sonderbar» und kalt angefühlt. In diesem Augenblick war ihm eine Idee gekommen: Das Ganze war nur ein Witz! Ein ziemlich schlechter und geschmackloser, aber sehr origineller Witz! Es war Silvesterabend, und überall wurde gefeiert. Das halbe Pflegepersonal war betrunken, Scherze und Knallkörper flogen hin und her - wie beim Karneval ging es zu. Offenbar hatte sich eine Schwester mit

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