Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
Fälle erörtert habe; sie hat mich Christina (der «körperlosen Frau») vorgestellt und kannte Jose, den «autistischen Künstler», als er noch ein Kind war.
Außerdem möchte ich mich für die selbstlose Hilfe und die Großzügigkeit der Patienten (und in einigen Fällen der Verwandten dieser Patienten) bedanken, deren Geschichten ich hier erzähle. Sie haben (sehr oft jedenfalls) gewußt, daß es noch keine Möglichkeit gibt, ihnen direkt zu helfen, und dennoch haben sie es mir gestattet und mich sogar dazu ermutigt, über ihr Leben zu schreiben - in der Hoffnung, andere möchten lernen, verstehen und eines Tages vielleicht in der Lage sein zu heilen. Wie auch in ‹Bewußtseinsdämmerungen› habe ich aus Gründen der Diskretion und der ärztlichen Schweigepflicht die Namen und einige Details von untergeordneter Bedeutung verändert. Es ist jedoch immer mein Ziel gewesen, das grundsätzliche «Lebensgefühl» meiner Patienten wahrheitsgetreu wiederzugeben.
Schließlich möchte ich noch meine Dankbarkeit - die mehr ist als bloße Dankbarkeit - gegenüber meinem Mentor und Arzt ausdrücken. Ihm habe ich dieses Buch gewidmet.
New York, 1o. Februar 1985
O. W. S.
TEIL EINS
Ausfälle
Einleitung
Das Lieblingswort der Neurologen ist «Ausfall». Es bezeichnet die Beeinträchtigung oder Aufhebung einer neurologischen Funktion: den Verlust der Sprechfähigkeit, den Verlust der Sprache, den Verlust des Gedächtnisses, den Verlust des Sehvermögens, den Verlust der Geschicklichkeit, den Verlust der Identität und zahllose andere Mängel und Verluste spezifischer Funktionen (oder Fähigkeiten). Für jede dieser Funktionsstörungen (ein weiterer beliebter Ausdruck) gibt es eine privative, das Fehlen hervorhebende Bezeichnung: Aphonie, Aphasie, Alexie, Apraxie, Agnosie, Amnesie, Ataxie. Jede spezifische neurale oder mentale Funktion, deren ein Patient durch Krankheit, Verletzung oder Entwicklungsstörungen ganz oder teilweise beraubt sein kann, läßt sich mit einem besonderen Wort benennen.
Die wissenschaftliche Analyse der Beziehung zwischen Gehirn und Geist begann 1861, als Broca in Frankreich herausfand, daß gewisse Schwierigkeiten des Patienten, sich sprachlich auszudrücken (Aphasie), durchweg als Symptom auftraten, dem die Zerstörung eines bestimmten Teils der linken Gehirnhälfte vorausgegangen war. Daraus entwickelte sich eine zerebrale Neurologie, die es im Laufe der Jahrzehnte ermöglichte, das menschliche Gehirn zu «kartographieren» und spezifische Fähigkeiten - linguistische, intellektuelle, perzeptive usw. - gleichermaßen spezifischen «Zentren» im Gehirn zuzuordnen. Gegen Ende des Jahrhunderts wiesen kritische Beobachter - vor allem Freud in seinem Buch (Zur Auffassung der Aphasien) (1891) - darauf hin, daß diese Art der Lokalisation grob vereinfachend sei, daß alle mentalen Leistungeneine komplizierte innere Struktur aufwiesen und auf einer ebenso komplexen physiologischen Grundlage basieren müßten. Nach Freuds Meinung galt dies besonders für bestimmte Störungen der Wahrnehmung und des Wiedererkennens, für die er die Bezeichnung «Agnosie» einführte. Für ein wirkliches Verständnis der Aphasie und der Agnosie würde, so meinte er, eine neue, differenziertere Wissenschaft erforderlich sein.
Diese neue, mit der Beziehung zwischen Gehirn und Geist befaßte Wissenschaft, die Freud vorschwebte, haben während des Zweiten Weltkriegs in Rußland A. R. Lurija (und sein Vater R. A. Lurija), Leontjew, Bernstein und andere ins Leben gerufen: die «Neuropsychologie». Die Entwicklung dieses ungeheuer fruchtbaren Wissenschaftszweiges war das Lebenswerk von A. R. Lurija. In Anbetracht der revolutionären Bedeutung dieser neuen Erkenntnisse dauerte es recht lange, bis sie im Westen bekannt wurden. Sie wurden erstmals systematisch in dem umfangreichen Buch Die höheren kortikalen Funktionen des Menschen und ihre Störungen bei örtlichen Hirnschädigungen) (deutsche Übersetzung 1970) und, später noch einmal, auf ganz andere Weise, nämlich in Form einer Biographie oder «Pathographie», in dem Buch ‹The Man with a Shattered World› (etwa: «Der Mann, dessen Welt in Scherben fiel») vorgestellt. Obwohl diese Bücher auf ihre Art fast vollkommen waren, blieb doch ein ganzer Bereich, den Lurija nicht behandelt hatte. Die höheren kortikalen Funktionen des Menschen› befaßte sich nur mit jenen Funktionen, die der linken Gehirnhälfte zugeordnet sind; und auch bei Sasetzkij, dem Mann,
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