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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Halluzinose sprechen. Dadurch ist dieser Mann, wenn er seinen Kaffee trinkt oder seine Pfeife raucht in Situationen also, die normalerweise mit Geruchsassoziationen besetzt sind -, in der Lage, diese Assoziationen unbewußt zu erwecken oder wiederzuerwecken, und zwar mit solcher Intensität, daß er zunächst glaubte, er könne wirklich wieder riechen.
    Diese zum Teil bewußte, zum Teil unbewußte Fähigkeit hat zugenommen und sich auf andere Bereiche ausgedehnt. Inzwischen kann er zum Beispiel den Frühling «riechen». Jedenfalls vermag er eine so intensive Geruchserinnerung oder ein Geruchsbild heraufzubeschwören, daß er fast in der Lage ist, sich selbst und andere glauben zu machen, er könne tatsächlich Frühlingsdüfte wahrnehmen.
    Es ist bekannt, daß solche Kompensationen bei Blinden oder Tauben häufig vorkommen - denken wir nur an Beethoven und seine Taubheit. Ich weiß allerdings nicht, wie oft solche Verlagerungen bei Anosmie auftreten.
19
Mord
    Donald hatte unter dem Einfluß von Psychostimulantien seine Freundin getötet. Er konnte sich nicht an die Tat erinnern, weder unter Hypnose noch nach Verabreichung von Natriumamytal. Es handelte sich hier, so lautete das Urteil der Sachverständigen vor Gericht, also nicht um eine Unterdrükkung von Erinnerungen, sondern um eine organische Amnesie - um jene Art von «Blackout», die bei Konsumenten von Psychostimulantien häufiger auftritt.
    Die schrecklichen Details des gerichtsmedizinischen Untersuchungsergebnisses kamen in einer nicht öffentlichen Verhandlung zur Sprache, an der auch Donald selbst nicht teilnehmen durfte. Man verglich die Tat mit den Gewaltakten, zu denen es manchmal bei psychomotorischen oder Schläfenlappen-Anfällen kommt. Der Betreffende kann sich später nicht mehr daran erinnern und hatte vielleicht auch gar nicht die Absicht, gewalttätig zu werden - man kann ihn dafür weder verantwortlich machen noch bestrafen. Dennoch muß er in eine Anstalt eingewiesen werden, um ihn selbst und die Gesellschaft vor ihm zu schützen. Auch Donald traf dieses Urteil.
    Er verbrachte vier Jahre in einer geschlossenen Anstalt für kriminelle Geisteskranke - obwohl Zweifel daran bestanden, ob er tatsächlich kriminell oder geisteskrank war. Er nahm seine Einweisung mit einer gewissen Erleichterung hin. Viel leicht empfand er sie als gerechte Strafe, zweifellos aber hatte er das Gefühl, in der Isolation liege auch Sicherheit. Wenn rnan ihn danach fragte, lautete seine traurige Antwort: «Ich eigne mich nicht für ein Leben in der Gesellschaft. »
    In der Anstalt fühlte er sich sicher vor plötzlichen, gefährlichen Ausbrüchen- er fühlte sich sicher und ließ eine beinahe heitere Gelassenheit erkennen. Er hatte sich von klein auf für Pflanzen interessiert, und dieses Interesse, das so konstruktiv und von der Gefahrenzone menschlicher Beziehungen und Handlungen so weit entfernt war, wurde von den Ärzten und vom Personal stark gefördert. Auf dem ungepflegten, verwilderten Gelände legte er Blumenbeete, Zier- und Gemüsegärten an. Er schien eine Art nüchternen Gleichgewichts gefunden zu haben, in dem eine seltsame Ruhe an die Stelle der früher so ungestümen Beziehungen und Leidenschaften getreten war. Manche hielten ihn für schizoid, andere für geheilt, aber alle, die ihn kannten, hatten das Gefühl, er habe eine gewisse Stabilität erlangt. Im fünften Jahr nach seiner Einweisung erhielt er die Erlaubnis, die Anstalt am Wochenende zu verlassen. Früher war er ein begeisterter Radfahrer gewesen, und jetzt kaufte er sich sofort ein Fahrrad. Damit begann das zweite Kapitel seiner merkwürdigen Geschichte. Eines Tages, als er - wie er es am liebsten tat - so schnell er konnte einen steilen Hügel hinunterfuhr, kam ihm in einer unübersichtlichen Kurve ein Wagen entgegen, den er erst im letzten Moment sah. Donald versuchte auszuweichen, verlor die Kontrolle über sein Gefährt und stürzte kopfüber auf den Asphalt.
    Er erlitt schwere Kopfverletzungen - massive, beidseitige subdurale Blutergüsse, die sofort nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus operativ dräniert wurden - und schwere Quetschungen der beiden Stirnlappen. Fast zwei Wochen lang lag er in einem hemiplegischen Koma; dann begann sich sein Zu stand, zur Überraschung der Ärzte, zu bessern. Und an diesem Punkt setzten die «Alpträume» ein.
    Das Wiedererlangen des Bewußtseins war keineswegs angenehm, sondern begleitet von schrecklicher Erregung und inneren Tumulten. Donald, der

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