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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Besuch in einer anderen Welt, einer Welt der reinen Wahrnehmung einer reichen, bunten, prallvollen Welt. Wenn ich doch nur ab und zu zurückgehen und wieder ein Hund sein könnte! »
    Freud hat an mehreren Stellen darauf hingewiesen, daß der Geruchssinn des Menschen im Verlauf seiner Entwicklung und Zivilisierung infolge des aufrechten Ganges und der Unterdrückung einer primitiven, prägenitalen Sexualität geschwächt worden und auf der Strecke geblieben sei. Tatsächlich ist belegt, daß spezifische (und pathologische) Verstärkungen des Geruchsvermögens bei Paraphilie, Fetischismus und verwandten Perversionen und Regressionen auftreten. [17] Aber die hier vorliegende Enthemmung scheint weit allgemeinerer Natur zu sein, und obwohl sie mit Erregung verbunden war - wahrscheinlich handelte es sich um eine durch Amphetamine hervorgerufene dopaminerge Erregung -, war sie weder spezifisch sexueller Art, noch ging sie mit sexueller Regression einher. Zu ähnlichen, zuweilen anfallsweise auf tretenden Hyperosmien kann es bei hyperdopaminergen Erregungszuständen kommen, so zum Beispiel bei manchen postenzephalitischen Patienten, die mit L-Dopa behandelt werden, und gelegentlich bei Patienten, die am Touretteschen Syndrom leiden.
    Aus all dem ersehen wir zumindest das Allumfassende der Hemmung, die selbst auf der elementarsten Wahrnehmungs ebene wirksam wird; wir sehen das Bedürfnis, das im Zaum zu halten, was für Head mit Ton-Gefühl erfüllt und ursprünglich war und was er als «protopathisch» bezeichnete. Erst diese Unterdrückung ermöglichte den Auftritt des differenzierten, kategorisierenden, affektlosen «Epikritikers».
    Weder kann das Bedürfnis nach einer solchen Hemmung auf das Freudianische reduziert werden, noch sollte der Abbau dieser Hemmung verklärt und romantisiert werden, wie Blake es getan hat. Vielleicht brauchen wir sie, wie Head andeutet, damit wir Menschen und nicht Hunde sind. [18] Und doch erinnert uns Stephen D. s Erfahrung, wie G. K. Chestertons Gedicht «The Song of Quoodle», daran, daß wir manchmal nicht Menschen, sondern Hunde sein müssen:
     «Sie haben keine Nasen,
die gefallenen Söhne von Eva...
Ach, für den glücklichen Geruch von Wasser,
den tapfren Geruch eines Steins!»
Nachschrift
    Ich bin kürzlich auf eine Art Pendant zu diesem Fall gestoßen: Ein Mann erlitt eine Kopfverletzung, die seine olfaktorischen Nervenstränge schwer in Mitleidenschaft zog (diese sind wegen ihrer Länge und ihrer Position in der vorderen Schädelgrube nicht sehr gut geschützt). Durch die Verletzung verlor dieser Mann jeglichen Geruchssinn.
    Er war überrascht und unglücklich darüber. «Geruchssinn? Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet. Normaler weise denkt man ja auch nicht daran. Aber als ich nichts mehr riechen konnte, war es, als wäre ich plötzlich erblindet. Das Leben hat für mich viel von seinem Reiz verloren - man macht sich ja gar nicht bewußt, wieviel vom Geruch abhängt. Man riecht Menschen, man riecht Bücher, man riecht die Stadt, man riecht den Frühling - vielleicht nicht bewußt, aber der Geruch bildet einen breiten unbewußten Hintergrund für al les andere. Meine Welt war mit einem Schlag viel ärmer geworden... »
    Er hatte ein starkes Gefühl des Verlustes, eine große Sehn sucht, eine regelrechte Osmalgie - das Verlangen, sich an eine Geruchswelt zu erinnern, der er vorher keine bewußte Aufmerksamkeit geschenkt hatte und von der er nun glaubte, sie habe gewissermaßen den Grundrhythmus seines Lebens gebildet. Und dann, einige Monate später, begann er zu seiner Freude und Verwunderung in seinem geliebten Morgenkaffee, der seit seiner Verletzung «fade» geschmeckt hatte, wieder ein Aroma wahrzunehmen. Zögernd stopfte er seine Pfeife, die er monatelang nicht angerührt hatte, und auch hier entdeckte er eine Spur des vollen Aromas, das er so liebte. Sehr erregt - die Neurologen hatten ihm gesagt, es gebe keine Hoffnung auf Besserung - suchte er seinen Arzt auf, der ihm jedoch nach eingehender Untersuchung mitteilte: «Tut mir leid - es deutet nichts auf eine Wiederherstellung hin. Sie leiden immer noch an totaler Anosmie. Merkwürdig, daß Sie Ihre Pfeife und Ihren Kaffee ‹riechen› können ... »
    Hier scheint sich (und es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß nur das olfaktorische Nervensystem verletzt war, nicht aber die Hirnrinde) eine verstärkte olfaktorische Imagination ausgebildet zu haben, fast könnte man von einer kontrollierten

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