Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
total farbenblind gewesen wäre und mich plötzlich in einer Welt voller Farben wiederfinde. » Tatsächlich war auch seine Farbwahrnehmung stärker ausgeprägt als zuvor. («Ich konnte Dutzende von Brauntönen unterscheiden, wo ich vorher nur Braun gesehen hatte. Meine ledergebundenen Bücher, die früher alle gleich ausgesehen hatten, hatten plötzlich ganz verschiedene Schattierungen. ») Auch sein eidetisches Wahrnehmungsvermögen und Gedächtnis hatten sich drastisch verbessert. («Ich konnte vorher nie zeichnen, ich konnte keine geistigen Bilder (sehen», aber jetzt war es, als hätte ich ein Zeichenprisma im Kopf. Ich ‹sah› alles, als sei es auf das Papier projiziert, und brauchte nur noch die Linien nachzuzeichnen, die ich ‹sah›. Plötzlich konnte ich exakte anatomische Zeichnungen anfertigen. ») Am tiefgreifendsten jedoch veränderte die Verstärkung des Geruchsempfindens seine Welt: «Ich hatte geträumt, ich sei ein Hund - es war ein olfaktorischer Traum -, und als ich erwachte, war ich in einer Welt unendlich vieler Gerüche, einer Welt, in der alle anderen Wahrnehmungen, auch wenn sie verstärkt waren, vor der Intensität der Gerüche verblaßten. » Und all dies ging einher mit einer bebenden, lebhaften Emotion und einer seltsamen Sehnsucht nach einer verloren gegangenen Welt, die halb vergessen, halb erhalten geblieben war. [16]
«Ich ging in eine Parfümerie», fuhr er fort. «Ich habe Gerüche noch nie gut auseinanderhalten können, aber jetzt erkannte ich sie alle sofort, und ich fand jeden einzigartig - jeder erinnerte mich an etwas, jeder war eine Welt für sich. » Er stellte auch fest, daß er all seine Freunde und Patienten am Geruch identifizieren konnte: «Ich ging in die Klinik, schnupperte wie ein Hund und erkannte alle zwanzig Patienten, die dort waren, bevor ich sie sehen konnte. Jeder von ihnen hatte seine eigene olfaktorische Physiognomie, ein Duft-Gesicht, das weit plastischer und einprägsamer, weit assoziationsreicher war als sein wirkliches Gesicht. » Er konnte ihre Gefühle - Angst, Zufriedenheit, sexuelle Erregung - wie ein Hund riechen. Er konnte jede Straße, jedes Geschäft am Geruch erkennen und sich unfehlbar in New York zurechtfinden, indem er sich an Gerüchen orientierte.
Ein impulsives Verlangen trieb ihn, alles zu beschnuppern und zu betasten («Nichts war wirklich vorhanden, bevor ich es nicht gerochen und befühlt hatte»), doch unterdrückte er dieses Verlangen in Gegenwart anderer, um nicht unangenehm aufzufallen. Sexuelle Gerüche waren erregend und intensiver allerdings nicht mehr, so fand er, als andere, zum Beispiel Essensgerüche. Der Genuß von Düften war verstärkt - ebenso wie das Mißfallen über bestimmte Gerüche -, aber es hatte sich ihm weniger eine neue Welt von Genuß und Mißfallen eröffnet als vielmehr eine neue Ästhetik, ein neues Urteilskriterium, eine neue Bedeutsamkeit, die ihn von allen Seiten umgab. «Es war eine Welt, die aus ungeheuer konkreten Einzelheiten bestand», sagte er, «eine Welt, deren Unmittelbarkeit, deren unmittelbare Bedeutsamkeit überwältigend war. » Vorher war er eher intellektuell orientiert gewesen und hatte zu Reflexion und Abstraktion geneigt. Jetzt dagegen stellte er fest, daß Nachdenken, Abstrahieren und Kategorisieren angesichts der übermächtigen Unmittelbarkeit einer jeden Erfahrung für ihn ziemlich unwirklich und schwierig geworden war.
Dieser Zustand fand nach drei Wochen ein recht plötzliches Ende- seine Geruchswahrnehmung, all seine Sinneswahrnehmungen wurden wieder normal. Mit einer Mischung aus Bedauern und Erleichterung fand er sich wieder in seiner alten, blassen Welt der beschränkten Sinneserfahrung, der Nicht Konkretheit und Abstraktion. «Ich bin froh, wieder zurück zu sein», sagte er, « aber für mich ist es auch ein sehr großer Verlust. Ich sehe jetzt, was wir dadurch, daß wir zivilisierte Menschen sind, aufgegeben haben. Wir brauchen auch das andere, das ‹Primitive›. »
Seitdem sind sechzehn Jahre vergangen, und seine Studien zeit, die Zeit, in der er Aufputschmittel nahm, liegt lange zurück. Zustände, die auch nur entfernt mit denen von damals vergleichbar wären, sind nicht mehr aufgetreten. Mein Freund und Kollege Dr. D. ist ein überaus erfolgreicher Internist in New York. Er bedauert nichts, aber gelegentlich überkommt ihn eine Sehnsucht nach jener Zeit: «Diese Welt der Gerüche und Atmosphären», seufzt er. «Sie war so lebendig, so real! Es war wie ein
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