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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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Auszeichnung noch nie gehört hatte. Ich nahm an, dass der CB im Großen und Ganzen dasselbe war wie der CBE , die dritte Stufe des britischen Ritterordens, nur kürzer. Doch wie es sich herausstellte, war mein Vater für seine Verdienste um die Royal Air Force zum »Companion of the Order of the Bath« ernannt worden – ein uralter, vom König verliehener Ehrentitel, dessen Träger, in aller Regel hohe zivile oder militärische Beamte, bei ihrer Aufnahme vor den Augen der anderen Ordensmänner gebadet wurden, kurz: so eine Art mittelalterliche Schwulensauna. Dazu gehörte ein Ehrenkreuz, das ich in dem erstaunlich kleinen Schuhkarton mit seinen persönlichen Gegenständen gefunden hatte, den das Altersheim mir hatte nachschicken lassen. Die Schachtel stand nun unter meinem Bett, nur für den Fall, dass ich dringend einen Air-Force-Wehrpass, eine Aufziehuhr oder ein Paar Regimentsmanschettenknöpfe brauchte.
    Damit ich nicht allein zum Krematorium fahren musste und mich mit jemandem unterhalten konnte, hatte ich keine Kosten gescheut und mir eine schwarze Limousine samt Chauffeur gemietet. Nun war die vorangegangene Totenfeier vorbei, und die Angehörigen kamen im Gänsemarsch aus der Kapelle. Sie hatten sich offenbar prächtig amüsiert, denn sie lachten und scherzten und schlugen sich gegenseitig auf den Rücken; der Tod eines Familienmitglieds schien regelrechte Heiterkeitsanfälle ausgelöst zu haben.
    Meine ersten Trauergäste waren zwei alte Damen aus dem Seniorenstift, in dem mein Vater seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Sie betrachteten das Gebäude interessiert von oben bis unten, als suchten sie nach einem geeigneten Ort für ihre eigene Einäscherung. Sie schüttelten mir feierlich die Hand und gingen hinein, um die Mechanik des Sargwagens zu inspizieren. Der Nächste war ein vergleichsweise junger Air-Force-Soldat in Uniform, der geradewegs an mir vorbeimarschierte, ohne mich eines Wortes oder auch nur eines Blickes zu würdigen. Dann machte mein Herz einen Satz, als ich Maddy und die Kinder kommen sah. Dillie und Jamie hatten sich feingemacht und schienen unschlüssig, welche Miene sie aufsetzen sollten.
    »Wie geht’s dir, Dad?«, fragte Dillie und umarmte mich.
    »Gut, danke.«
    Ich müsse nicht den Grüßaugust spielen, meinte Maddy, und als ihre Eltern kamen, gingen wir hinein und nahmen unsere Plätze ein. »Was hast du den Kindern gesagt, Schätzchen?«, flüsterte Maddys Mutter verschwörerisch.
    »Ich habe ihnen gesagt, dass ihr Großvater gestorben ist, Mum.«
    »Dann werden wir uns wohl oder übel daran halten müssen.«
    Unser Zeremonienmeister war eine Kreuzung zwischen einem gutmütigen Gemeindepfarrer und einem leuchtbejackten Schupo, der gelangweilt den Verkehr regelt. Beim traditionellen Herunterleiern der Kirchenlieder gab er teilnahmslos den Ton an, und bei der Lesung aus der Bibel gelang es ihm auf eindrucksvolle Weise, den gesamten Text mit derart monotoner Stimme vorzutragen, dass den einen oder anderen Trauergast ein akutes Schlafbedürfnis überkam. Da ich mich aus Zeitgründen nicht hatte mit ihm treffen können, um die Einzelheiten des Prozederes zu besprechen, hatte ich per E-Mail um »einen traditionellen Standard-Gottesdienst mit dem üblichen Pipapo« gebeten. Rückblickend betrachtet, hätte ich mich mit der Materie vielleicht etwas eingehender befassen sollen. Denn hätte ich auch nur einen Augenblick darüber nachgedacht, wäre ich eventuell darauf gekommen, dass zu »dem üblichen Pipapo« auch die Rede eines nahen Anverwandten gehörte.
    Nach dem zweiten Kirchenlied nahmen wir Platz, und ich verlor mich in Gedanken, während der Pfarrer das nächste unverständliche Gebet vor sich hin nuschelte. Plötzlich wurde ich hellhörig. Ich hätte schwören können, dass er soeben verkündet hatte: »Und nun wird Keiths einziger Sohn ein paar Worte über seinen Vater sagen.« Nein – das hatte ich mir doch bestimmt nur eingebildet? Aber da trat der Schwarzrock auch schon von der Kanzel und winkte mir, heraufzukommen und in Erinnerungen an meinen Vater zu schwelgen, ohne zu ahnen, dass ich keine hatte. Ich schaute mich um und stellte fest, dass die nicht mehr ganz taufrischen Trauergäste mich erwartungsvoll ansahen und mir auffordernd zunickten: Der Höhepunkt der Feier war gekommen. Ich sah Hilfe suchend zu Maddy, die zwar ein erschrockenes Gesicht machte, mich jedoch auch nicht aus dieser misslichen Lage befreien konnte.
    »Also«, wiederholte er beharrlich

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