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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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die Trauerfeier gestört hatte. Maddy und Ralph hatten sich also getrennt. Maddy wich meinen Blicken aus, doch die unverhohlene Befriedigung, die sich in der Miene ihrer Mutter spiegelte, war mir Beweis genug.
    »Was bin ich doch für ein Glückspilz!«, rief ich und verzichtete darauf, das weiter auszuführen. »Fürwahr. Was bin ich doch für ein Glückspilz!« Und mit diesen Worten setzte ich mich wieder und versuchte, ein beseeltes Lächeln zu unterdrücken.
    Mit einem Mal begriff ich den therapeutischen Wert einer Beerdigung, denn mich überkam ein eigenartiges Gefühl des Friedens und der Heiterkeit. »Ich bin froh, dass ich heute hier war«, dachte ich, als der Sarg zu den Klängen der Carpenters seine letzte Reise antrat. Sie waren Dads Lieblingsband gewesen, doch erst jetzt wurde mir klar, dass es wahrscheinlich geeignetere Songs gab, um von einem alten Mann Abschied zu nehmen, als »We’ve Only Just Begun«.
    »Nicht mitsingen, Vaughan«, flüsterte Maddy hinter mir.
    »Oh. Pardon.«

20. KAPITEL
    »Sir, Mr. Vaughan, Sir, warum haben Sie am Freitag gefehlt? Waren Sie in der Klapse, Sir?«
    »Haben die Ihnen das Hirn amputiert, Sir? Oder waren Sie bloß bei der Zwangsjackenanprobe?«
    »Das reicht, Tanika.«
    »Kriegen Sie Elektroschocks? Und haben Sie ’ne Gummizelle und so ’n Scheiß?«
    »Tanika, Dean, hiermit erteile ich euch die erste Verwarnung. Noch so eine Respektlosigkeit oder Störung des Unterrichts, und ihr fliegt achtkantig raus und dürft die Stunde wiederholen. Im Übrigen behalte ich mir vor, mich mit euren Eltern ins Benehmen zu setzen.«
    Inzwischen hatte ich mir den offiziellen Sprachgebrauch angeeignet und hoffte inständig, dass meine Problemschüler auf die entsprechenden Reizwörter reagieren und ihr Verhalten auf der Stelle ändern würden.
    »Wir haben doch gar nichts gesagt. Sie hören wohl Stimmen, Sir.«
    »Sind Sie ein Serienkiller, Sir? Verspeisen Sie Ihre Opfer?«
    »Zweite Verwarnung, Tanika!«
    »Ich bin nicht Tanika. Ihr Gedächtnis lässt Sie anscheinend wieder mal im Stich. Ich heiße Monique, Sir.«
    »Letzte Chance, Tanika.«
    »Von wegen – die Schulleitung hat die Verhaltensregeln geändert. Man muss neuerdings erst nach der fünften Verwarnung zum Direx. Das haben Sie wahrscheinlich vergessen, als Sie durchgeknallt sind.«
    »Sir, verbuddeln Sie Ihre Opfer im Garten? Haben Sie am Freitag jemand unter die Erde gebracht?«
    »Ihr werdet euch wundern, aber ich habe in der Tat jemanden zu Grabe getragen.«
    Kaum hatte ich es ausgesprochen, wurde mir bewusst, dass mir ein Fehler unterlaufen war, doch das betretene Schweigen der Schüler verlangte nach einer näheren Erklärung.
    »Äh, also, eigentlich war es eine Feuerbestattung. Ich konnte nicht kommen, weil ich meinen Vater beerdigt habe. Er war schwerkrank und ist in den Ferien gestorben, deswegen hattet ihr am Freitag eine Vertretung, wofür ich mich hiermit entschuldigen möchte.«
    Danach war Schluss mit den Frotzeleien. Vermutlich hatten sie Mitleid mit Kloputzer Vaughan, weil er seinen Vater verloren hatte, da musste er nicht auch noch fortwährend daran erinnert werden, dass er nicht mehr ganz bei Trost war. Sie arbeiteten mit, beantworteten artig meine Fragen und notierten sich sogar ihre Hausaufgaben. Weshalb ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, künftig zu Beginn jeder Stunde einen familiären Todesfall bekannt zu geben, obwohl sich ihre Anteilnahme nach der x-ten Großtante oder hochbetagten Schwiegermutter vermutlich in Grenzen halten würde.
    Nachdem die Schüler das Klassenzimmer verlassen hatten, sah ich, dass Tanika zurückgeblieben war, weil sie mich unter vier Augen sprechen wollte.
    »Äh, das mit Ihrem Vater tut mir leid, Sir. Ich hab’s nicht böse gemeint.«
    »Schon gut, Tanika. Aber … ich wäre dir dankbar, wenn du auf solche Anspielungen in Zukunft verzichten könntest. Ich habe bislang kaum eine Erinnerung an meinen Vater, sprich ich leide tatsächlich unter einer Art Bewusstseinsstörung, die mir von Zeit zu Zeit noch immer schwer zu schaffen macht.«
    Sie schwieg, rührte sich aber nicht vom Fleck.
    »Sonst noch was?«
    »Sir? Mein Vater ist auch gestorben …«
    Tanika hatte sich noch nie eine solche Blöße gegeben, und ich spürte sofort, dass es ihr ernst war.
    »Das tut mir sehr leid, Tanika. Wann denn? Vor Kurzem?«
    »Nein, als ich drei war. Er wurde erschossen.«
    »Erschossen!«, platzte ich bestürzt heraus.
    »Es war sogar in den Nachrichten. Es hieß, es hätte mit

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