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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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trocknete stattdessen eifrig Gläser ab. Da es ihr peinlich war, dass sie so viel von sich preisgegeben hatte, machte sie mir unmissverständlich klar, dass wir die Vergangenheit hinter uns lassen und den Blick vertrauensvoll in die Zukunft richten mussten.
    »Weißt du, was du brauchst, Vaughan? Du brauchst eine Freundin.«
    Obwohl ich den Mantel schon anhatte, räumte ich die schmutzigen Teller in die Spülmaschine.
    »Hmm … ich glaube, so viel Nähe kann ich im Moment nicht ertragen. Ich könnte ja als Trainer für deine siebzehn Katzen anfangen und mich dann langsam hocharbeiten.«
    »Es muss ja nicht gleich die große Liebe sein. Nur eine kleine Affäre, die dir bewusst macht, dass es da draußen jede Menge anderer Frauen gibt.«
    »Wie bitte – du willst, dass ich mir eine Geliebte zulege?«
    »Es geht mich ja nun im Grunde nichts mehr an. Aber vielleicht würde dir das helfen, nach vorn zu schauen.«
    Ich genoss ihre Aufmerksamkeit so sehr, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, ihr mein Geheimnis zu verraten.
    »Ehrlich gesagt, da war diese Frau aus der Schule …«
    »Was denn für eine Frau?«
    »Suzanne. Eine Australierin, sie unterrichtet Tanz.«
    »Was? Und du stehst auf sie?«
    »Also, bei Licht besehen, nein, nicht direkt …«
    Sie ließ ihre Hausarbeit einen Moment ruhen und starrte mich an.
    »Trotzdem hatte ich einen One-Night-Stand mit ihr. Wie du ganz richtig sagtest – man muss nach vorne schauen und neuen Dingen gegenüber aufgeschlossen sein.«
    »Ach.«
    Plötzlich schienen ihre Augen nicht mehr zu wissen, wohin sie schauen sollten.
    »Es war letzte Woche. Aber nur dieses eine Mal.«
    »Soso, sie unterrichtet Tanz? Dann ist sie doch bestimmt spindeldürr?«
    »Ja, eigentlich nicht unbedingt mein Typ.«
    »Was soll das heißen?«
    »Gar nichts – ich finde sie nur einfach nicht besonders attraktiv, das ist alles.«
    Klirrend landeten die Kaffeebecher wieder in der Spülmaschine.
    »Eigentlich hatte ich es nicht direkt darauf abgesehen. Aber dann lief mir Suzy über den Weg.«
    »Ach, jetzt heißt sie schon ›Suzy‹? Lass gut sein – ich räume den Geschirrspüler aus. Dazu brauche ich deine Hilfe nicht.« Wir taten so, als hätten wir nicht bemerkt, dass sie Kate Middleton soeben die Nase abgeschlagen hatte. Der schöne Royal-Wedding-Becher!
    Ich machte mich zur Bushaltestelle auf, und obwohl mein Atem dampfte und mir ein eiskalter Wind ins Gesicht schlug, war es ein frischer, klarer Tag, und es schien den Rest der Welt einen Dreck zu interessieren, dass mein Vater gestorben war und Maddys Einstellung mir gegenüber sich grundlegend geändert hatte. Vor allem aber bewegte mich ein tiefes Gefühl resignierter Trauer über den Tod des alten Mannes, den ich im Krankenhaus kennengelernt hatte. Im Lauf unserer Gespräche war er für mich zu so einer Art Vaterfigur geworden.
    Andere Kulturen haben die verschiedensten Traditionen entwickelt, um mit dem Tod eines geliebten Menschen fertigzuwerden – wochenlanges gemeinschaftliches Trauern, Singen, Tanzen, religiöse Rituale. In der westlichen Welt hingegen scheint man davon überzeugt zu sein, dass die Hinterbliebenen nichts dringender benötigen als einen großen Haufen unnützen Papierkrams. Plötzlich hatte ich allerlei rechtliche und organisatorische Verpflichtungen, die mich eine ganze Woche kosteten. Mit Schrecken erfuhr ich, dass ich nicht nur als Testamentsvollstrecker fungierte, sondern obendrein die Eintragung ins Sterberegister vornehmen, den Einäscherungstermin vereinbaren, die Kirchenlieder für die Trauerfeier aussuchen und die erforderliche Anzahl von Pasteten und Karottencrudités für den Hummus-Dip festlegen musste.
    Wen sollte ich überhaupt zur Beerdigung einladen? Nach reiflicher Überlegung beschloss ich, sämtliche Namen anzuschreiben, die mein Vater nicht aus seinem Adressbuch gestrichen hatte. John Lewis schrieb mir einen reizenden Brief und teilte mir mit, erstens gebe es keine Person dieses Namens, und zweitens könne die Kaufhauskette leider niemanden zum Begräbnis schicken. Dennoch sprach sie mir ihr aufrichtiges Beileid aus.
    Und so stand ich ein paar Wochen nach seinem Tod am Ende der geschwungenen Auffahrt des in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erbauten Krematoriums am Stadtrand, um meiner Pflicht als Hauptleidtragender und einziger Sohn von Air Commodore Keith Vaughan CB gerecht zu werden. Dass mein Vater ein Kürzel hinter seinem Namen trug, war mir neu gewesen, zumal ich von der

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