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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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Rose.«
    Doch die nikotingelben Finger zogen bereits ein in Zellophan gewickeltes Instant-Liebespfand hervor.
    »Nein, nein«, sagte ich. »Ich gebe Ihnen fünfzig Pfund für den ganzen Strauß.«
    »Alle?«
    »Vaughan – das ist reine Geldverschwendung.«
    »Sechzig Pfund!«
    »Fünfzig, und Sie können auf der Stelle Feierabend machen.« Der Mann nickte teilnahmslos und vertauschte die Scheine in meiner Hand blitzschnell mit einem riesigen Bukett dürrer roter Rosen.
    »Er liebt Sie sehr.«
    »Ehrlich gesagt, lassen wir uns gerade scheiden«, erklärte sie.
    »Ihre Frau – gute Witz!«, sagte er lachend. Weder sie noch ich lachte mit. Meine dramatische Geste hatte Maddy nur noch wütender gemacht, und jetzt ging sie in schroffem Ton die Liste der praktischen Dinge durch, die sie noch zu erledigen hatte. Obwohl unser Leben auch weiterhin persönlichen Kontakt und Zusammenarbeit erfordern würde, wollte sie nicht meine Freundin sein.
    Verzweifelt versuchte ich ein letztes Mal, sie umzustimmen.
    »Mein Gedächtnisverlust ist vielleicht das Beste, was mir je passiert ist!«
    »Um Himmels willen, Vaughan, weißt du, was mich immer schon auf die Palme getrieben hat? Dass du grundsätzlich alles vergessen hast, was ich dir erzählt habe. Wenn es um dein Leben ging, konntest du dich selbstredend daran erinnern, aber was ich machte, war schlicht zu unwichtig, als dass du es behalten hättest. Und plötzlich erinnerst du dich an gar nichts mehr und glaubst allen Ernstes, dass dich das attraktiver macht? Für meinen Geschmack ist das lediglich der logische Schlusspunkt, auf den unsere Beziehung zwanzig Jahre lang hinausgelaufen ist. Erst vergisst du die Milch, die du auf dem Heimweg aus dem Supermarkt mitbringen solltest; dann vergisst du meine Ausstellung oder dass ich dich gebeten habe, etwas früher nach Hause zu kommen, damit ich noch ins Labor fahren kann; dann vergisst du unseren Hochzeitstag oder schenkst mir zweimal hintereinander dasselbe zu Weihnachten, bis du zu guter Letzt alles vergisst, was mich betrifft – wie ich heiße, wie ich aussehe … du hast völlig vergessen, dass ich überhaupt existiere. Ich weiß nicht, was deine Ärzte und Neurologen vor ein solches Rätsel stellt; schließlich hast du schon vor Jahren vergessen, dass ich existiere. Du leidest mitnichten an einer Bewusstseinsstörung. Du bist ganz einfach, wie du bist. Es ist ein für alle Mal vorbei, Vaughan. Wir lassen uns scheiden. Schluss, aus, Ende.«
    Mit diesen Worten stand sie auf, ging davon und ließ die fünfzig Rosen vor mir auf dem Tisch liegen. Ich saß da und nippte an meinem ekelhaften und inzwischen eiskalten Espresso, bis der Heizpilz neben mir erst zu flackern anfing und dann erlosch. Es begann zu dämmern, und ich merkte, dass ich zitterte. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht – es war absurd zu glauben, dass der Sommer ewig währen würde.
    Ich blickte quer über den Platz und sah eine alte Dame, die sich auf einen Gehstock stützte. Sie war stehen geblieben und starrte zu Boden. Sie wirkte müde, ja zu Tode erschöpft. Um der Sache doch noch etwas Positives abzuringen, nahm ich den überdimensionalen Rosenstrauß und ging mit großen Schritten auf sie zu.
    »Verzeihung, würden Sie mir vielleicht gestatten, Ihnen fünfzig rote Rosen zu schenken?«, fragte ich mit dem ganzen mir zur Verfügung stehenden Charme.
    Sie sah mich einen Augenblick misstrauisch an. »Perversling!«, schimpfte sie.

10. KAPITEL
    »Vaughan. Ich hab ’ne schlechte Nachricht, Alter.« Mein Gedächtnisverlust lag genau vier Wochen zurück, und als ich in die Küche kam, saß Gary am Tisch und versuchte, die letzten Perlzwiebeln im Glas mit einem Brotmesser aufzuspießen.
    »Wieso? Was ist denn?«
    »Willst du dich nicht lieber setzen?«
    »Geht’s um Maddy – oder eins der Kinder? Nun sag schon.«
    »Nein – es geht um deinen Vater. Er hatte schon wieder einen Herzanfall.«
    Einen Augenblick lang herrschte fassungsloses Schweigen.
    » Mein Vater?! Ich wusste gar nicht, dass ich einen Vater habe. Mein Vater lebt noch? Warum hast du mir nicht gesagt, dass mein Vater noch lebt?«
    »Äh, ich dachte, das weißt du. Du hast mich nie explizit danach gefragt …« Gary hob abwehrend die Hände, als wollte er sagen, damit habe er nichts zu tun.
    »Aber du hast von meinen Eltern immer nur in der Vergangenheitsform gesprochen. Du hast gesagt, sie waren ein reizendes Paar.«
    »Nun ja – das liegt vermutlich daran, dass ich sie eigentlich nur von früher

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