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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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Ich hatte fest damit gerechnet, dass er müde oder verängstigt sein und den Griesgram oder Märtyrer spielen würde, doch nichts von alledem. Der Herzpatient hatte wohl schlicht und einfach ein unglaublich großes Herz.
    Auf dem Nachttisch stand eine selbstgemalte, mit »Dillie« signierte Karte.
    »Dillies Karte ist wirklich schön.«
    »Die Gute. So aufmerksam.«
    Ich lauschte seinem keuchenden Atem und versuchte mir vorzustellen, wie er mich als Kind an die Hand genommen und über die Straße gebracht hatte, wie ich als kleiner Junge mit ihm in einem altmodischen Auto saß und den Gang einlegen durfte, wie wir in einem imaginären Garten zusammen Fußball spielten. Doch es wollte mir beim besten Willen nicht gelingen.
    »Weißt du noch, wie wir Fußball gespielt haben, als ich klein war?«, fragte ich.
    »Wie könnte ich das je vergessen? Du warst …«, er zögerte einen Augenblick und suchte krampfhaft nach dem richtigen Wort, »… ein hoffnungsloser Fall . «
    Ich kicherte über seinen Scherz.
    »Ja, aber ich war ja auch noch ein Kind.«
    »Nein, nein. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Eine einzige Katastrophe!« Er verzog sein müdes Gesicht zu einem matten Lächeln. Das Gedächtnis meines Vaters hatte offenbar stark nachgelassen, und ich versuchte, das Thema zu wechseln.
    »Na ja, Fußball war irgendwie nie meine Stärke. Gary hat mich neulich daran erinnert, dass ich mal in einer Band gesungen habe.«
    »O ja. Welch eine Stimme!«
    »Äh … danke.«
    »Wie eine Katze, der man den Hals umdreht.«
    »Was?«
    »Grauenerregend.«
    »Ha! Für ältere Menschen klingt Rockmusik wahrscheinlich immer …«
    »Das Publikum hat getobt …«
    »Ist doch prima.«
    »… vor Wut. Wenn du gesungen hast …«
    Anscheinend war auch diese Beziehung von Frotzeleien geprägt. Trotzdem konnte ich mich einfach nicht daran gewöhnen, dass wildfremde Menschen derart unhöflich waren.
    Als ich mich damit abgefunden hatte, fand ich es wunderbar, dass nicht einmal ein Herzanfall ihm seinen Humor hatte rauben können. Aus seinen liebevollen Sticheleien schloss ich, dass wir uns sehr nahegestanden hatten; es war seine Art, mir seine Zuneigung zu demonstrieren.
    »Aber das spielt alles keine Rolle«, verkündete der greise Mystiker, der in eine Dimension schauen konnte, die seinem Schüler verschlossen blieb. »Denn das Wichtigste im Leben … hast du richtig gemacht.« Das Sprechen fiel ihm zunehmend schwer.
    »Was meinst du – meine Arbeit?«
    »Nein. Deine Frau. « Er wandte angestrengt den Kopf und sah mich an. Er bekam kaum noch Luft, und ich hatte Mühe zu verstehen, was er mir durch die Sauerstoffmaske zuflüsterte. »Ihr zwei. Seid das perfekte Paar.« Und dann schloss er die Augen, vermutlich um sich vorzustellen, wie ich heute Abend zu Madeleine heimkehren und wie glücklich ihn dieser Gedanke machen würde.
    Der körperliche Zustand meines Vaters schien seinen Worten zusätzliches Gewicht zu verleihen. Jeder Satz kann profund und geistreich klingen, wenn er auf dem Totenbett gesprochen wird. Selbst wer seinen letzten Atemzug an eine Sentenz verschwendet wie »Du solltest deine Jacke im Haus vielleicht lieber ausziehen, damit du nachher draußen nicht frierst«, erntet in aller Regel ehrfürchtiges Nicken für diese ungemein tiefschürfende Erkenntnis. Aber dass mein eigener Vater seine äußerst knapp bemessene Luft opferte, um mir mitzuteilen, Madeleine und ich seien das perfekte Paar … zum ersten Mal hatte jemand etwas Positives über meine Ehe zu sagen.
    »Ja, sie war ein echter Glücksgriff«, bestätigte ich.
    »Genau wie …«, er fing an zu japsen, »… deine Mutter.«
    Seine Kräfte verließen ihn. Es waren nur gut zehn Minuten gewesen, aber sein Treibstofftank war leer. »Ich bin schrecklich müde, Junge. Das Reden strengt an.«
    »Ist gut.« Und dann zwang ich mich, es zu sagen. »Ist gut, Dad .«
    Mein alter Herr verstummte, sein Atem ging schleppender, und er sank fast sofort in Tiefschlaf. Ich saß noch eine Weile da, starrte ihn an und versuchte, mich selbst in seinen verwitterten Zügen zu entdecken. Ein Servierwagen rollte klappernd über den Flur, doch niemand kam herein. Ich hatte befürchtet, das Zusammentreffen mit meinem mir unbekannten Vater würde mir die Tränen in die Augen treiben, doch zu meinem Erstaunen war das Gegenteil der Fall: Ich fühlte mich regelrecht beschwingt. Er sah Madeleine mit denselben Augen wie ich. »Das perfekte Paar«, hatte er gesagt. Hätte mein Herz am EKG

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