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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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hatte ich wahrhaftig nicht gerechnet. Niemand hatte auch nur ein einziges Wort über mich geschrieben.
    Tags darauf kehrte ich mehrmals zu der Seite zurück und klickte auf »Aktualisieren«, aber meine Lebensgeschichte bestand immer nur wieder aus denselben beiden unscheinbaren Sätzen: » In diesem Artikel fehlen wichtige Informationen. Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und ergänzt. « Der sogenannten Versionsgeschichte konnte ich entnehmen, dass die Seite zwar etliche Male geöffnet worden war, sich jedoch niemand die Mühe gemacht hatte, etwas zu schreiben. Gary hatte derweil auf Facebook nachgesehen und festgestellt, dass alle meine Freunde und Bekannten sich die Zeit genommen hatten, ein Status-Update vorzunehmen und neue Fotos von sich hochzuladen.
    Nicht einmal Maddy hatte auf meine Rundmail reagiert, und ich fragte mich, wie sie die Hiobsbotschaft, dass ihr eigener Mann ihre gesamte Ehe vergessen hatte, wohl verkraftete. Doch dann bekam Linda einen Anruf von Maddy; anscheinend wollte sie sich auf einen Kaffee »und ein ernsthaftes Gespräch« mit mir treffen.
    »Ha, das ist ja schon fast ein Date«, sagte ich händereibend.
    »Äh, das glaube ich kaum, Vaughan. Ich nehme an, sie möchte mit dir darüber reden, wie es mit euch beiden weitergehen soll.«
    »Mh-hm, schon klar. Zwei erwachsene Menschen, die sich treffen, um eine verzwickte Situation zu klären.«
    Ein paar Minuten später kam ich aus meinem Zimmer, um Linda um Rat zu fragen.
    »Was meinst du – ist dieses Hemd vielleicht zu bunt? Findest du das hier besser?«
    »Das spielt keine Rolle, Vaughan – eins ist so gut wie das andere.«
    »Und was ist mit den Schuhen? Zu förmlich?«
    Ich hatte meine komplette Garderobe durchprobiert, aber die kannte Maddy vermutlich schon. Und Garys Hemden sahen entweder aus, als hätte er die Waschanweisungen konsequent ignoriert oder als wären sie noch nie gewaschen worden.
    »Habe ich noch Zeit, mir neue Klamotten zu kaufen?«
    »Es ist völlig egal, was du anziehst, Vaughan. Sei einfach du selbst.«
    »Soso. Einfach ich selbst. Und, äh, wer genau bin ›ich‹?«
    Ich war überpünktlich und setzte mich an einen Tisch im Freien, damit ich sie kommen sehen konnte. Ich holte mein Buch hervor und las zwanzig Mal dieselbe Zeile. Sie hatte ein Café in Covent Garden ausgesucht, und der Platz war so belebt, dass ich zunächst mehrere andere Frauen mit Madeleine verwechselte. Als sie dann schließlich kam, stand ich auf, doch ich war ihr weder ein Lächeln noch ein Winken wert. Ich wollte sie auf die Wange küssen, aber sie wich zurück, sodass ich gezwungen war, so zu tun, als würde ich ihr den Stuhl zurechtrücken.
    »Hi! Schön, dass du da bist! Du siehst großartig aus …«
    »Können wir gleich zur Sache kommen?«, fragte sie, ziemlich unterkühlt, wie ich fand.
    Heute trug sie das Haar offen, und ich stellte fest, dass es nicht rot, sondern rotblond war. Ich fragte sie, was für einen Kaffee sie wolle; sie bat um einen doppelten Espresso und schob mir den exakten Betrag in Münzen über den Tisch.
    »He, ein doppelter Espresso! Das Gleiche wie ich!«, rief ich begeistert und fragte mich, wie das Gebräu wohl schmeckte.
    »Nein, du trinkst immer Cappuccino.«
    Da sie mich bereits so gut kannte, fiel ein Großteil des Vorgeplänkels, das ich mir zum Aufwärmen zurechtgelegt hatte, flach.
    »Also, pass auf, ich habe mit meinem Anwalt gesprochen, und ich finde es eigentlich ganz gut, dass der Schlusstermin vertagt worden ist.«
    »Na prima«, sagte ich und versuchte, keine Miene zu verziehen. Der Kaffee war widerlich.
    »Ja – er hat gesagt, wenn man erst hinterher festgestellt hätte, dass du nicht im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte warst, wäre die Scheidung vermutlich annulliert worden. So können wir sicher sein, dass das Urteil wasserdicht ist.«
    »Aha.« Ich seufzte. »Verstehe.«
    Ein Straßenkünstler jonglierte oder balancierte auf einem Einrad oder beides, und seine reichlich präpotenten Eigenkommentare wurden immer wieder von jäh aufbrandendem Applaus unterbrochen.
    »Ich habe ihm von deiner Amnesie erzählt, und er hat gesagt, du brauchst ein ärztliches Attest, das dir bescheinigt, dass du in der geistigen Verfassung bist, entsprechende Entscheidungen zu treffen. Willst du dir das aufschreiben?«
    »Nein, das behalte ich auch so.«
    »Du musst also möglichst bald zu einem Neurologen oder Psychiater gehen, damit wir die Scheidung endlich über die Bühne bringen

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