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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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nicht zu uns? Ich fände es herrlich, euch alle vier um mich zu haben, und ich hätte endlich Zeit, Ron bei den Reparaturarbeiten am Haus zur Hand zu gehen, die er schon seit Jahren in Angriff nehmen will …« Jetzt prügelte sie ihrer Tochter den Zaunpfahl förmlich um die Ohren; fehlten eigentlich nur noch Blaulicht und Sirene und ein Polizist, der in ein Megafon krakeelte: » Lass dich nicht scheiden , Madeleine ! Deine Mutter durfte sich nicht scheiden lassen , warum solltest du es besser haben ?«
    Ron hätte die fortwährenden Sticheleien und plumpen Anspielungen auf sein angebliches Totalversagen als Ehemann und Vater eventuell als kränkend empfunden, wenn er sie denn mitbekommen hätte. Doch er hatte schon vor langer Zeit die Fähigkeit entwickelt, das Hintergrundrauschen seiner Frau einfach auszublenden, und reagierte nur noch auf bestimmte Reizwörter, die für ihn womöglich von Interesse waren.
    »Vaughan hat angeboten, Kaffee zu kochen. Ist das nicht nett von ihm, Ron?«
    »Kaffee? Ja, bitte.«
    Der Tag war erstaunlich harmonisch verlaufen, wenn man bedenkt, dass die meisten Bürgerkriege mit einer missratenen Weihnachtsfeier im Familienkreis ihren Anfang nehmen. Nachmittags hatte ich mit den Kindern einen Einkaufsbummel gemacht. Jamie durfte sich die gewünschte Geldsumme eigenhändig aus dem Automaten ziehen, und Dillie bekam ein kleines elektronisches Tagebuch, dem sie ihre Geheimnisse getrost anvertrauen konnte, weil nur sie wusste, wie man darauf zugriff. So ähnlich wie mein Gehirn, dachte ich, nur dass sie das Passwort noch nicht vergessen hatte.
    Ich hatte hin und her überlegt, ob ich Maddy etwas schenken sollte. Die meisten Nochehemänner schenken ihrer Ex in spe vermutlich nichts zu Weihnachten; das Haus muss genügen. Aber bei einem Streifzug durch diverse Juweliergeschäfte war ich nicht ganz zufällig auf eine ebenso schöne wie schlichte Halskette aus Gold gestoßen. Und ich muss gestehen, es lag eine erregende Spannung in der Luft, als Madeleine sie nach dem Essen auspackte, nach Luft schnappte und murmelte: »Das wäre doch nicht nötig gewesen.« Das war durchaus keine hohle Phrase. Ich hatte offenkundig reichlich Zeit und Geld in die Wahl des perfekten Präsents investiert, was die Sache nur noch schlimmer machte. Maddy wäre es lieber gewesen, wenn ihr Ex ihr irgendwelchen Mist geschenkt hätte, der sie in ihrer Überzeugung bestärkte, dass wir nicht zueinander passten. Als die Kinder sie drängten, die Kette anzuprobieren, schüttelte sie den Kopf und legte sie in die Schachtel zurück, doch als Maddy wenig später auf der Toilette verschwand, verschwand interessanterweise auch die Schachtel.
    Jean kriegte sich gar nicht mehr ein vor lauter Begeisterung über die Kette, womit sie dezent andeuten zu wollen schien, dass sich ihre Freude über das Geschenk ihres Mannes – ein Schuhregal – in engen Grenzen hielt.
    »Und was bekommt Vaughan von dir, Madeleine? Was schenkst du Vaughan?«
    »Gar nichts, Mum. Wir lassen uns scheiden. Schon vergessen?«
    »Aber noch ist er dein Mann, Schätzchen. Du hättest dir ruhig ein bisschen Mühe geben können …«
    Doch mein Geschenk war eindeutig mehr als eine großzügige Geste, und das war Maddy keineswegs entgangen. Es war ein Statement; ich wollte Großmut beweisen, die moralische Festung verteidigen, die ich erobert zu haben glaubte, seit ich wusste, dass sie mit einem anderen Mann zusammen war. (»Sie ist nicht mit einem anderen Mann zusammen«, hatte Gary widersprochen, als ich ihm davon erzählt hatte. »Sondern schlicht mit einem Mann.«)
    Und so spielte ich den ganzen Weihnachtstag über die Rolle des perfekten Schwiegersohns und fürsorglichen Ehemanns und versuchte, die Reise nach Venedig egoistisch und unnötig erscheinen zu lassen. Jean, in der ich eine unerwartete Verbündete gefunden hatte, machte sich vor allem deshalb große Sorgen, weil ihre Tochter unter anderem ein Wasserfahrzeug zu besteigen gedachte.
    »Nach allem, was man in den Nachrichten so sieht, würde ich mir das an deiner Stelle noch mal gründlich überlegen.«
    »Um Himmels willen, Jean, Venedig liegt in Europa«, wiederholte ihr Mann leicht gereizt. »Da wird sie wohl kaum von somalischen Piraten entführt werden.«
    »Und wenn doch? Die haben schließlich schon des Öfteren Touristen aus dem Westen als Geiseln genommen.«
    »Ja, am Horn von Afrika. Somalische Piraten werden schwerlich übers Rote Meer, durch den Suezkanal, übers Mittelmeer und dann die Adria

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