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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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»O-Gott-es-war-total-lustig-Miss-Kerrins-hat-Nadim-verboten-seine-Ratte-in-die-Biostunde-mitzubringen-weil-sie-immer-abhaut-und-Jordans-Blindschleiche-erschreckt-oh-dein-Anzug-gefällt-mir-ist-der-neu-jedenfalls-hat-er-sie-in-ihre-Handtasche-gesteckt-die-auf-ihrem-Pult-stand-mmmmh-heute-gab’s-ein-total-leckeres-Curry-zum-Mittagessen-und-man-konnte-sehen-wie-sie-sich-in-der-Handtasche-bewegt-ach-übrigens-ich-hab-’ne-Eins-in-Mathe-also-musste-er-zum-Direx-aber-seine-Ratte-hat-er-dagelassen-und-Jordan-hat-sie-sich-auf-den-Kopf-gesetzt-und-sie-hat-voll-die-Angst-vor-Ratten-und-ist-schreiend-aus-dem-Klassenzimmer-gerannt-es-war-total-lustig-können-wir- Friends -auf-Comedy-Central-aufnehmen-bevor-wir-gehen?«
    Vielleicht sprach ihr Bruder deswegen so wenig; er kam schlicht und einfach nicht zu Wort. Dafür wusste er nur zu genau, wie man seinem Gegenüber die wirklich wichtigen Informationen entlockt.
    »Warum hast du einen Anzug an, Dad?«
    »Warum hast du dir den Bart abrasiert? Bist du in der Midlife-Crisis?«
    »Ach, ich dachte, ich werfe mich ausnahmsweise mal in Schale. Von wegen Neuanfang und so. Findet ihr es übertrieben?«
    »Nein«, meinte Maddy. »Sieht doch gut aus.«
    Ich wollte ihr danken, fand aber nicht die richtigen Worte.
    »Dad, du wirst ja rot. Warum wirst du rot?«
    Wir saßen zu viert um den Tisch, und ich trank übersüßten Tee. Der Hund komplettierte die perfekte Familienszene, sah wehmütig zu, wie wir Kekse aßen, und ließ vor Scham über seine sündigen Gedanken den Kopf hängen. »O Gott, ich komme mir so schwach und wertlos vor, aber gegen meine finsteren Gelüste nach diesen verlockend süß duftenden HobNobs komme ich nicht an. O nein, mir läuft das Wasser im Maul zusammen, ich bin abscheulich, es tut mir leid, ich verachte mich für meine niederen Instinkte …«
    »Nein, Woody, hör auf zu betteln«, sagte Jamie.
    »Armer Woody. Blaff ihn gefälligst nicht so an«, sagte Dillie.
    Ich stellte ihnen eine der Fragen, die ich mir zurechtgelegt hatte, und erkundigte mich nach ihren Weihnachtswünschen. Dillie brauchte etwa fünfundzwanzig Minuten, um ihre Wunschliste herunterzurattern, und hätte vermutlich bis in alle Ewigkeit Modeschmuck und Schminksachen aufgezählt, wenn ich sie nicht irgendwann unterbrochen und Jamie gefragt hätte: »Und was wünschst du dir?«
    »Keine Ahnung.« Er zuckte die Achseln. »Geld?«
    »Letztes Jahr haben wir afrikanischen Dorfbauern eine Ziege geschenkt«, erinnerte sich Maddy. »Dieses Jahr dachten wir, eine Wii von Nintendo ist ihnen vielleicht lieber.«
    »Gute Idee«, bestätigte ich. »Warum nicht gleich ein iPad?«
    »Au ja, kann ich ein iPad haben?«, fragte Dillie. »Und eine Ziege?«
    »Nein, du kannst keine Ziege haben«, entschied ich kurzerhand. »Sonst nimmst du sie am Ende noch mit in die Schule und erschreckst Miss Kerrins damit zu Tode …«
    »Was?«, fragten Jamie und Maddy wie aus einem Munde.
    »Bin ich etwa der Einzige, der Dillie zugehört hat?«
    »Ja«, antworteten sie unbekümmert.
    Die Kinder konnten es kaum erwarten, mit mir auf den Winter-Wonderland-Weihnachtsmarkt zu gehen, doch als sie neben dem bullernden Heizkörper im Flur standen, waren sie plötzlich der Meinung, es sei zu warm, um Wollmützen und Handschuhe anzuziehen. Geschickt verhinderte ich einen Streit, indem ich ihnen anbot, ihre Wintersachen zu tragen, bis es ihnen im Freien zu kalt wurde und sie um ihre dicken Jacken betteln würden.
    »Willst du wirklich nicht mitkommen?«
    »Nein«, sagte Maddy und deutete ein Lächeln an. »Ihr habt einiges nachzuholen. Dabei bin ich bloß im Weg.«
    »Wir beide haben auch einiges nachzuholen.«
    Maddy zog die Augenbrauen hoch, womit sie vermutlich andeuten wollte, dass ich mich hart an der Grenze des Erlaubten bewegte. »Wir sehen uns um halb sieben in der Pizzeria«, sagte sie. Und schloss die Tür.
    Im Spiegelkabinett machte sich ein Lächeln auf meinem verzerrten Gesicht breit, als ich sah, wie die Kinder unseren grotesken Spiegelbildern kichernd zuwinkten. Jamie trat immer wieder vor und zurück, wobei sein Hals mal länger und mal kürzer wurde, und Dillie streckte die Hände aus und gluckste, als sie so groß wurden wie ihr gesamter Körper.
    »Vielleicht sehen wir in Wirklichkeit ja eigentlich so aus«, gab ich zu bedenken. »Und die Spiegel zu Hause verzerren alles.«
    »Nein, dann müsste mit unseren Augen ja auch etwas nicht stimmen«, entgegnete Jamie, dessen durchaus intelligenter Einwurf zumindest

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