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Der Mann, der sich in Luft auflöste

Der Mann, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Mann, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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der Mauer war. Das Auto sollte nur seine Aufmerksamkeit ablenken, während unten auf dem Kai jemand lautlos heranschlich und sich hinter ihm auf die Mauer schwang.
    Und im selben Moment begriff er auch, glasklar und deutlich, dass dies keine Beschattung war, kein Spiel, sondern Ernst. Mehr als das. Es war der Tod. Dieses Mal war er hinter ihm her, und zwar nicht zufällig, sondern kalt, berechnend und vorsätzlich.
    Martin Beck war zwar ein schlechter Kämpfer, aber sein Reaktionsvermögen war beachtlich. Im selben Moment, in dem er den leichten Luftzug spürte, zog er den Kopf ein, hob den rechten Fuß auf den Mauerrand, stemmte sich ab, drehte den Oberkörper und warf sich nach hinten, alles in einer einzigen blitzschnellen Bewegung. Der Arm, der sich ihm gerade um den Hals legen wollte, drückte hart gegen die Nasenwurzel und die Augenbrauen, bevor er über die Stirn abrutschte. Er spürte ein heißes, überrumpeltes Keuchen an der Wange und sah eine Messerklinge aufblitzen, die ihr Ziel bereits verfehlt hatte und sich von ihm wegbewegte. Er fiel rückwärts auf den Kai hinunter, schlug mit der linken Schulter hart auf das Pflaster und rollte sich herum, um so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen. Wie Silhouetten vor dem Sternenhimmel nahm er auf der Mauer zwei Gestalten wahr. Dann war es nur noch eine, und während er noch mit einem Bein auf dem Pflaster kniete, war der Mann mit dem Messer wieder über ihm. Sein linker Arm war nach dem Sturz wie gelähmt, aber die Lichtverhältnisse waren einen Moment lang günstig für ihn, da er selbst unten im Dunkeln war, während sich der andere vor dem Nachthimmel abzeichnete. Der Angreifer hieb daneben, und es gelang Martin Beck, sein rechtes Handgelenk zu packen. Es war kein guter Griff, und das Handgelenk war ungewöhnlich grob, aber er hielt es fest, denn er wusste genau, dass dies seine einzige Chance war. Eine Zehntelsekunde lang standen sie aufrecht, und er stellte fest, dass der andere kleiner war als er, aber erheblich breiter. Mechanisch setzte er einen der alten Patentgriffe aus der Mottenkiste der Polizeischule ein und streckte den Gegner damit zu Boden. Sein Fehler war nur, dass er es nicht wagte, die Hand mit dem Messer loszulassen, und dadurch mit nach unten gerissen wurde. Sie rollten einmal herum und waren nun sehr nahe an den Treppenstufen hinunter zum Wasser. Die Lähmung in seinem linken Arm hatte nachgelassen, und es gelang ihm, auch das andere Handgelenk des Mannes zu packen. Der Gegner war jedoch stärker und würde ihn gleich überwältigt haben. Ein harter Tritt an den Kopf erinnerte ihn daran, dass er nicht nur körperlich unterlegen, sondern auch allein gegen zwei war.
    Er lag jetzt auf dem Rücken und so nahe an der Treppe, dass er die erste Stufe unter dem Fuß spürte. Der Mann mit dem Messer keuchte ihm schwer ins Gesicht. Er roch nach Schweiß, Rasierwasser und Halspastillen, und er befreite langsam, aber unerbittlich seine rechte Hand. Martin Beck spürte, dass dies das Ende war, zumindest fehlte nicht mehr viel. Blitze schössen durch den pulsierenden Nebel vor seinen Augen, sein Herz schien sich immer weiter auszudehnen, wie eine blaurote Geschwulst, die bald platzen würde. In seinem Kopf hämmerte es wie in einem Steinbruch. Er glaubte, fürchterliches Gebrüll, Detonationen und ein schneidendes Geheul zu hören, und sah die Welt in einem blendend weißen Ozean aus Licht ertrinken, der alle Konturen und alles Leben auslöschte. Sein letzter Gedanke war, dass er hier auf einem Kai in einer fremden Stadt sterben würde, genau so, wie Alf Matsson vermutlich gestorben war, und ohne zu wissen warum.
    Mit einer letzten, reflexartigen Anstrengung umklammerte er das rechte Handgelenk des anderen mit beiden Händen, stieß sich gleichzeitig mit dem Fuß ab und wälzte sich mitsamt seinem Gegner über die Kaikante.
    Bereits an der zweiten Stufe schlug er mit dem Kopf auf und verlor das Bewusstsein. Nach einem Zeitraum, der unendlich schien, auf jeden Fall aber sehr lang gewesen sein musste, öffnete Martin Beck die Augen. Alles war in weißes Licht getaucht. Er lag auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht und das rechte Ohr auf dem Pflaster. Das Erste, was er sah, waren zwei sauber geputzte schwarze Halbschuhe, die fast sein gesamtes Blickfeld ausfüllten. Er drehte den Kopf und schaute nach oben.
    Szluka, im grauen Anzug und noch immer mit dem albernen Jägerhut auf dem Kopf, beugte sich über ihn und sagte: »Guten

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