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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Die Axt war abgewischt, aber am Schaft waren noch Blutspuren. Sie hatten sogar Haare von dem Alten daran gefunden, graue, festgeklebt. Somit war die Sache klar.
    Ob sie Doris anrufen sollte? Oder vielleicht ihre Mutter? Hallo, Mama, es ist alles klar, ich habe mich elegant unter all den Junggesellen durchgeschlagen. Soll ich dir was mitbringen, Fausthandschuhe mit dem typischen Muster? Oder Moltebeerenmarmelade, ich kann mich ja mal umschauen.
    Therese konnte sie in ihrem Erker sitzen sehen, das Novara-Porzellan im festen Griff und den Adlerblick auf den Innenhof gerichtet, auf das Kräuterbeet da unten, das die Damen pflegten, den kürbisdekorierten Fahrradständer, die beiden italienischen Klavierfräulein, die von ihrem üblichen Abendspaziergang zurückkamen, heftig gestikulierend. Mamas Haar war in einem festen Knoten zusammengesteckt, das linke Auge, das seit der Verletzung immer ein wenig lief, die sonnengebräunte Hand mit den Leberflecken, die die Teetasse hob, die Mamatasse mit der exklusiven japanischen Sensha-Mischung. Die Lippen wurden gespitzt, immer ein wenig angespannt, als lutsche sie auf etwas. Als sehnten sie sich nach einer Zitze. Einem Kuheuter.
    Therese beschloss anzurufen, bald. Nur noch einen Moment. Es war so schön, einfach hier zu liegen. Im weichen Hotelbett, eingekuschelt, eingehüllt wie ein kleines Rattenjunges in einer Kugel aus altem Stroh, tief unter der Schneedecke. Es gab eine Erinnerung, eine zittrige Blase aus der Kindheit, wie sie von der Schule nach Hause kam und allein war, denn ihre Mutter arbeitete nachmittags, und die ganze Wohnung war blau und leer. Und sie zog sich nackt aus, knochige Schulterblätter, die sich hochzogen, die haarlose Mädchenscham, sie kletterte in die kalte Porzellanbadewanne und nahm die Handdusche. Dann krümmte sie sich zusammen, stand auf den Hacken, den Brustkorb gegen die mageren Schenkel gedrückt, ein fester, kleiner Mädchenball. Sie drehte das Wasser an und ließ den Duschstrahl auf den Nacken prasseln, schräg von hinten. Im richtigen Winkel gehalten, strömte das Wasser von allen Seiten um den Körper und verwandelte ihn zu einer zitternden Blase, einer Tüte voll Wärme. Zuerst war sie hart, alles war angespannt, wie eine Eierschale, doch mit der Zeit entspannten sich ihre Gliedmaßen, und sie konnte immer heißer aufdrehen. Eine rote, weiche Handfläche, die ihren Körper einschloss, ein Schimmer von Wasserdunst. Nun konnte ihr keiner mehr wehtun.
     
    Sie wachte von einem Juckreiz auf. Noch verschlafen. Ein Dschungel, sie hatte etwas mit einem Dschungel geträumt, in dem sie herumgelaufen war oder geschwommen, und ein Haus lag da drinnen, ein weißes Steinhaus wie auf einer griechischen Ansichtskarte, ein heller Klotz in all dem Dschungelgrün, und sie war hineingeklettert oder hineingeschwommen, durch die Fensterhöhle, die rund war wie ein Bullauge, Estonia, und da drinnen lagen dunkle Haufen, das waren Kleider, Kinderkleidung, eine russische Hilfssendung, und es hatte aus ihrem Mund geblubbert, und jetzt musste der Traum sich langsam entscheiden, ob sie unter Wasser nun atmen konnte oder nicht …
    Kratzen. Ein Nadelstich im Luftballon, peng! Mit einem abgrundtiefen Atemzug bekam sie die Augen auf, sie juckten und fühlten sich sandig an. Scheiße. Die Kontaktlinsen. Sie durfte nicht mit ihnen schlafen, jetzt hatte sie rote Augen wie eine Plötze. Verdammt, wie das juckte! Als sie sich über den Hals rieb, spürte sie eine kleine Erhöhung. Und auf dem Unterarm sah sie etwas Schwarzes, sie schlug zu, womit es zu etwas Rotem zerquetscht wurde. Eine Mücke. Sie wedelte mit den Armen und sah mehrere auffliegen, eine ganze Wolke, die sich in Hubschrauberformation sammelte und sofort zu einem neuen Angriff überging.
    Sie waren durch das offene Fenster hereingekommen. Sie schob es zu und schaltete die Deckenleuchte ein. Massen. Sie stürzten sich hinab und suchten mit ihren Saugrüsseln, angewidert erschlug sie sie. Einige waren vorsichtiger und kreisten an der Decke, um die Lampenkuppel und entlang der Deckenleiste, wo sie sich mit gespreizten Hinterbeinen niederließen und warteten, dass sie wieder einschlief. Sie schaute sich nach einer Waffe um, fand die Haarbürste und stellte sich aufs Bett. Nach zehn Minuten hatte sie den Feind erledigt und spülte, leicht verschwitzt am Rücken, im Waschbecken die Insektenleichen von den Bürstenborsten ab.
    Ihr Gesicht war von Mückenstichen angeschwollen. Wie Pubertätspickel. Sie fummelte die

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