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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Kontaktlinsen heraus und stellte fest, dass es zu spät war, um ihre Mutter anzurufen. Dann konnte sie sich genauso gut wieder schlafen legen. Doch sobald Therese unter die Decke gekrochen war, war wieder das Summen zu hören. Einatmen. Dieses scharfe, hartnäckige Geräusch von einem einzelnen Überlebenden, der über die Tapete huschte. Und dann das Licht, dieses verfluchte Tageslicht da draußen. Sie schaute auf die Uhr, in nur zwei Minuten war es Mitternacht. Hierher würde sie im Leben nie wieder reisen. Ihr ganzes Gesicht brannte, und sie wusste, dass es Stunden dauern würde, bis sich der Schlaf erneut einstellen würde.
     

10
     
    Sie tunsit Martinin?«, fragte Eino Svedberg und strich über den verschnörkelten Porzellangriff der Kaffeetasse. »Du hast Martin gekannt?«
    Der Mann ihm gegenüber hieß Bertil Isaksson und war auffallend lang und dünn, er erinnerte an einen Kranich. Sein Kopf hatte etwas Feierliches an sich, wie der eines ägyptischen Pharaos. Er drehte einen Stift in der Brusttasche seiner Latzhose, der aus einer eingenähten Falte hervorragte, und drehte ihn die ganze Zeit wie einen Bohrer herum, während er durch das Küchenfenster hinausschielte. Die Hose war staubig, auf dem Schädel mit dem schütteren Haar waren immer noch die Abdrücke vom Hörschutz zu erkennen. Er war dabei gewesen, eine Tür abzuschleifen, als Eino angeklopft hatte.
    »Na, hier oben kennen doch alle alle«, erwiderte Bertil auf Meänkieli. Das war ein weiches Finnisch, aus den Dörfern südlich von Pajala, bekannt vom Lokalsender, bei dem er als Reporter arbeitete. Ein Finnisch, das nach Torfernte und lauwarmer Milch roch.
    »Du meinst, dass man die Guten und die Schlechten kennt?«
    »Genauso ist es.«
    »Alle wissen, dass Martin hinter eurem Verein her war«, sagte Eino, »hinter dem Svenska Tornedalingars Riksförbund-Tornionlaaksolaiset.«
    »Ich bin ausgetreten, als ich angefangen habe, als Journalist zu arbeiten.«
    »Aber du bist einer der Gründer. Und du hast zu denjenigen gehört, die er mit Leserbriefen und persönlichen Beschimpfungen gejagt hat.«
    »Ja, er konnte uns nicht leiden.«
    »Weil ihr fürs Tornedalfinnisch gekämpft habt.«
    Bertil nickte und zog eine entlarvende Grimasse.
    »Er war ziemlich typisch, wenn man das so sagen darf. Ältere Käuze, die schlecht behandelt wurden. Sie sind selbst mit Meänkieli aufgewachsen, sprechen es im Alltag in der Stadt, und dennoch sitzt ihnen die Scham tief in den Knochen. Schon in der Schule haben sie ja gelernt, dass Tornedalfinnisch hässlich ist, dass es wortarm und minderwertig ist, nicht einmal eine richtige Sprache.«
    »Udde war wütend auf euch, obwohl ihr für seine eigene Muttersprache gekämpft habt.«
    »Ja, nimm doch nur seinen Nachnamen. Er hat ihn ins Schwedische übersetzt, wie so viele Tornedaler. Man will seinen finnischen Nachnamen loswerden. Stattdessen nimmt man Åkerport oder so, du weißt ja selbst, wie das dann klingt.«
    Eino dachte an seinen eigenen Nachnamen. Den sein Vater in den Sechzigern gekauft hatte. Genau wie Dagewitz, sie hatten es sich eines Abends bei einem Bier erzählt. Seine Familie kam von Korpilombolo und hatte Tammilahti geheißen.
    »Martin Udde war fanatisch«, fuhr Bertil fort. »Erinnerst du dich noch, als Meänkieli vom Schwedischen Reichstag als Minderheitensprache akzeptiert wurde, am 1. April 2000? Weißt du, dass der Kerl rausgegangen ist und seine Flagge auf halbmast gehisst hat?«
    »Nein, das habe ich nicht mitgekriegt«, sagte Eino.
    »Aber inzwischen können wir aufhören, uns über sie aufzuregen.«
    »Die Meänkieli-Hasser?«
    »Die Alten. Sie verschwinden einer nach dem anderen.«
    Sie dachten beide eine Weile über diesen Greis mit seinem hochroten Gesicht nach, der sich wütend über seine alte Schreibmaschine gebeugt hatte.
    »Er hat euch als Läuse im schwedischen Pelz bezeichnet.«
    »Da gibt's Schlimmeres«, brummte Bertil. »Aber er war bei weitem nicht der Einzige, oft sind es ältere Kleinbürger, die die schlimmsten Feinde des Meänkieli werden. Alte Volksschullehrer, Zöllner oder Beamte.«
    »Ja, eigentlich merkwürdig.«
    »Und hier im Norden ist der Widerstand am größten. Im Süden habe ich keinen Menschen je über Meänkieli klagen gehört. Da wissen die Leute ja kaum, dass es so etwas gibt, oder sie finden nur, dass wir exotisch sind. Das ist wie mit den Samen. In Stockholm kommen sie in jeden Club rein, wenn sie ihre samische Tracht tragen. Während es daheim genau umgekehrt

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