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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Mangel an Sauerstoff. Es war zu eng hier. Stockholm war wie ein Kinderzimmer, aus dem sie herausgewachsen war. Sie musste fort.
    Gleichzeitig spürte sie etwas anderes, etwas Unerwartetes. Aufsteigenden Rauch aus Birkenrinde. Für einen kurzen Moment saß sie in einer Sauna, doch gleich verblasste das Bild wieder, dafür zeigte sich ein unfassbar großer, ruhiger See. Zuerst begriff sie nicht, was das darstellen sollte. War es das Meer? Nein, es bewegte sich nicht. Die Oberfläche war wie ein Spiegel, vollkommen hart und gespannt.
    Es war Trauer. Sie schaute und schluckte. So groß. So wunderschön.
    Vorsichtig streckte sie die Hand aus und tauchte die äußerste Spitze des Ringfingers hinein. Das Wasser wich zurück. Öffnete sich. Wuchs nach außen, Kreis für Kreis, in die Unendlichkeit hinein.
     

21
     
    Eino Svedberg saß an seinem Schreibtisch und fühlte die ruhige Freude des Fängers. Die beiden Trickdiebe waren verhaftet, die Frau lag immer noch im Krankenhaus nach ihrem Zusammenstoß mit dem Alten von Laukuluspa. Das Paar hatte sich nachweislich während der Zeit des Verbrechens in Pajala aufgehalten. Sie hatten auch andere alte Menschen misshandelt, um deren Geldverstecke zu erfahren. Mehrere Anzeigen waren eingegangen, aus Östersund und aus dem Norden, ein paar Mal war es geradezu grauslich zugegangen. Vor einem Monat hatten sie in Vilhelmina eine 82jährige Frau die ganze Nacht an einen Stuhl gefesselt. Zum Schluss bekamen sie ihren Pin-Code heraus. Der Mann war zum Bankautomaten im Ort gefahren und hatte den Maximalbetrag abgehoben, während die Frau bei der Alten geblieben war. Weiß Gott, womit sie ihr gedroht hatte. Noch heute war sie ein einziges Elend, vollkommen verwirrt, vermutlich würde sie nie als Zeugin auftreten können. Es gab wenige Verbrechen, für die Eino größere Verachtung fühlte. Man fasst unsere Alten nicht an. Sie dürfen nicht gekränkt werden. Sie haben uns geboren, ohne sie gäbe es uns gar nicht. Eine Gesellschaft, die die Alten schlecht behandelte, verdarb ihre eigenen Wurzeln. Und ohne Wurzeln verkümmerte man.
    Dieser weiblichen Ratte waren mit der Flasche eine Sehne in der Wade durchschnitten und mehrere Muskeln zerfetzt worden Jetzt lag sie frisch operiert in Sunderbyn, Eino war dort gewesen und hatte ihr einige Fragen gestellt. Sie weigerte sich, ihre Identität preiszugeben, genau wie ihr Komplize. Ihr linkes Auge war von Sune Niskas Vorstandshammer zugeschwollen gewesen, aber sie hatte ihn mit dem anderen angestarrt. Nicht ein Wort war über ihre Lippen gekommen. Nicht ein Blinzeln. Ein Profi, hatte Eino gedacht. Sie hat das schon vorher mitgemacht. Er hatte das Aufnahmegerät ausgestellt und sich zu ihr hinuntergebeugt. Ihr leise ins Ohr geflüstert: »Ich hoffe, du bleibst ein Krüppel.« Ach Scheiße, dachte er. Niemand ist perfekt.
     

22
     
    Esaias' Mutter kochte Kartoffeln. Es waren die ersten dieses Sommers, erst vor einer Viertelstunde war sie in Gummistiefeln auf den Acker gegangen und hatte das Kraut mit den ersten, weintraubengroßen frischen Knollen herausgezogen, jetzt köchelten sie zusammen mit frisch gebrochenen Dillstängeln im Topf. Auf der anderen Herdplatte standen drei alte Kaffeetassen. Sie waren zur Hälfte gefüllt mit geschmolzener Butter, die vor sich hin blubberte. Sie legte in jede Tasse eine Handvoll fein gehackter Zwiebeln und eine Prise Salz. Der Duft verbreitete sich in der Küche, der zarte Genuss des Sommers. Der Vater lag auf der Küchenbank, ein kariertes Taschentuch über dem Gesicht. Esaias hatte immer gedacht, dass er bei seinem Mittagsschlaf wie ein Eisenbahnräuber aussah, unten lugten das stoppelige Kinn und die regelmäßig schnaufende Unterlippe hervor.
    Vor dem Fenster floss der Fluss. Esaias wartete schweigend ab und beobachtete den gesetzten, hüftbreiten Körper seiner Mutter mit den langen Armen, die ununterbrochen mit etwas beschäftigt waren. Einmal hatte er seine Eltern zu selbstgemachtem Sushi eingeladen. Er konnte sich noch an ihr Schweigen erinnern. Den Fisch hatten sie essen können. Aber mit dem Reis waren sie nicht zurechtgekommen, es war, als esse man Papier, davon konnte man doch unmöglich satt werden.
    Dagegen die Kartoffeln! Die heimischen Kartoffeln! Diese kleinen, gelben Bohnen, die in der Erde mit ihrem goldenen Fruchtfleisch anschwollen. Unten im Humus und Kuhdung brannten sie wie bleiche Glühbirnen, sie sammelten den ganzen Sommer über in Tornedalens sandbrauner Erde Saft und Kraft, und sie

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