Der Mann, der starb wie ein Lachs
gaben immer überschwänglich. Die Kartoffel war kräftig, zäh und freigiebig, sie ruhte den ganzen Winter über in der Kiepe im Vorratskeller mit ihrem knotigen Schädel, bis sie gekocht wurde und sich in eine dampfende Sonnenfrucht auf dem Teller verwandelte.
Und jetzt erst, wo sie ganz frisch war. Die Schale war dünn wie Seide, wenn man sie in den Glanz der Butter tauchte, auf die Zunge legte und daran sog, sie schmelzen ließ, so dass sie ihre frische Süße am Gaumen ausbreitete, es war eine Seligkeit, ein Geschmacksrausch, der einen dazu brachte, die Augen zu verdrehen und mit geblähten Nasenflügeln zu schnauben, und der Name dieser besten aller Luxusmahlzeiten lautete: Doppikopp – Tauch in die Tasse.
Der Vater wachte von dem Geräusch auf, als das Kochwasser abgegossen wurde, er setzte sich auf und faltete sorgfältig das Taschentuch in seine alten Falten zusammen und schob es in die Brusttasche. Sie aßen schweigend. Das erste Doppikopp war heilig, aber gleichzeitig fast eine Schande. Denn die Kartoffeln waren ja viel zu klein. Sie waren noch nicht ausgewachsen, diese Winzlinge, die man da in sich hineinstopfte, wären doch große Brocken geworden, hätte man die Geduld gehabt, noch ein paar Wochen zu warten. Man saß hier und verschwendete sie ganz unverschämt.
Anschließend tranken sie Kochkaffee. Die Abendsonne leuchtete durch das Westfenster herein. Plötzlich kam ein Dompfaff über den Rasen geflogen und prallte direkt gegen die Fensterscheibe. Das war der Schock, ein weißer Faden lief das Glas hinunter. Der Körper stürzte zu Boden, blieb regungslos liegen. Es war ein Männchen. Der Bauch leuchtete rot im Gegenlicht, Esaias dachte an eine Weihnachtskarte, Schnee und Haferbüschel. Aber jetzt lag der Vogel still in dem Sommergrün da.
Die Mutter ging zum Fenster, schaute hinaus. Der Vogel bemerkte die Bewegung, es kam Leben in ihn. Etwas unsicher hob er ab und flatterte zur Eberesche hinüber.
»Se ellää«, sagte Papa.
»Ja, er lebt«, wiederholte Mama.
Sie schaute Esaias an, der gar nicht bemerkt zu haben schien, dass sie die Sprache gewechselt hatte. Die Scham war immer noch da. Dieses Tornedalsche Bemühen, es anderen immer recht zu machen. Bereits als Schulmädchen in Övre Soppero war es den Lehrern gelungen, sie davon zu überzeugen, dass ihr Finnisch nicht gut genug war. Wir leben in Schweden, und in Schweden sprechen wir Schwedisch. Hör mir zu! Und guck mich an, wenn ich mit dir rede. Und die Angst saß tief in ihr, es war ihr nie gelungen, sie loszuwerden. Als sie Esaias bekam, beschloss sie, mit ihm Schwedisch zu sprechen. Er sollte ein echter Schwede werden, etwas, was ihr nie gelungen war. Schließlich war das Tornedalfinnisch ja ihre Muttersprache. In ihm hatte sich die Wärme befunden. Die Gefühle, die Intensität, die Nähe im Leben. Esaias erinnerte sich an Mamas unsicheres Schwedisch. Es war ihr nie richtig gelungen, ihn in die Arme zu nehmen. Es hatte sich immer eine Art Glasur zwischen ihnen befunden, eine knusprige Schicht. Sie hatte eine Papiermaske getragen. Darunter hatte sich das Mädchen befunden, das kleine, lebhafte Mädchen, das einst eingemauert worden war. Nur ganz selten hatte er ihr wahres Ich gesehen, dann, wenn er sie richtig wütend gemacht hatte. Dann hatte sich plötzlich ein Riss geöffnet, und die Tornedalschen Flüche waren über ihn mit einer Wut und Energie hinweggefegt, dass es ihn schockiert hatte. Sie war nicht eins. Sie bestand aus zwei Personen.
Daheim sprachen Mama und Papa immer Meänkieli miteinander. Aber mit Esaias redete sie nur Schwedisch. Die ganze Kindheit über hatte er ihr auf Schwedisch geantwortet, als hätten sie ihr eigenes Zimmer im Haus, eine gute Stube. Erst in den letzten Jahren hatte er sie gebeten, doch Meänkieli mit ihm zu reden. Doch sie konnte es nicht. Die Weichen waren gestellt, sie konnten nicht umgelegt werden. Er selbst begann in einer Art Trotz ihr auf Meänkieli zu antworten, und das war jetzt der Stand der Dinge. Sie sprach Schwedisch mit ihm, und er antwortete auf Tornedalfinnisch. In gewisser Weise standen sie jeweils auf einer Seite des Flusses und riefen sich gegenseitig etwas zu.
»Mie kävin Aareavaarassa kattomassa vanhata kämpää«, sagte Papa plötzlich. »Ich war in Aareavaara und habe mir das alte Haus angeguckt.«
Esaias wusste, was nun kam. Das alte Rauchstubenhaus der Großmutter, inzwischen einer der vielen leerstehenden Höfe, seit die Alte verstorben war. Sie hatte bis zuletzt dort
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