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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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er hatte hinter der Tür gestanden und gelauscht, ob wohl jemand Finnisch reden würde. Und jetzt zog er Jakob am Nacken hoch, direkt aus der Bank, und dann schlug er ihn mit der anderen Hand. Ins Gesicht, so dass Blut aus der Nase spritzte. Auf die Kleidung des Lehrers und seine Papiere. Und der Lehrer nahm den Aufsatz und knüllte ihn über der Nase des Jungen wie eine Serviette zusammen, er rief und wischte, während der Junge schrie, weil es so wehtat. Der Junge schrie: lopeta, aufhören! Und da wurde der Herr Lehrer nur noch wütender, denn lopeta, das war ja Finnisch, und da hat er dem Jungen die Hose runtergezogen. Die ganze Klasse hat zugesehen, und man sah die Geschlechtsteile des Jungen, obwohl er versuchte, sie mit den Händen zu verbergen. Und dann schlug der Lehrer ihm auf den Hintern. Zuerst mit der Hand, aber das ging nicht so gut, also befahl er mir, den Zeigestock zu holen. Ich saß ja am nächsten. Und ich traute mich nicht, Nein zu sagen. Ich ging zur Tafel, der Zeigestock lag auf dem Kreidefach. Und als ich damit zurückkam, überlegte ich, ob ich weglaufen sollte. Der Alte hatte eine ganz verschwitzte Stirn. Er hatte die Haare über seiner Glatze nach hinten gekämmt, aber die hatten sich jetzt gelöst und hingen ihm über die Augen. Ich gab ihm den Stock. Und dann habe ich auch noch einen Knicks gemacht, ich kann mich noch genau daran erinnern. Und Udde nahm den Stock und begann rote Streifen auf den Hintern zu schlagen. Die Haut platzte, der Kerl hat so hart geschlagen, dass sie aufriss. Und der Junge schrie so schrecklich, er klang wie ein Hund. Und ich war diejenige, die den Stock geholt hatte. Ich hätte ja Nein sagen können, darüber habe ich oft nachgedacht. Ich hätte Nein sagen können, aber ich war zu feige.«
    »Und das war Martin Udde, der das gemacht hat?«
    »Das war Martin Udde.«
    »Helevetin sika. Dieses Scheißschwein.«
    »Den armen Kindern gegenüber war er am schlimmsten. Jakobs Vater war ja nur Kätner, denen gehörte ja nichts.«
    »Und es gab keine Henriikka, die ihm eine Axt hinterhergeworfen hat.«
    »Später ging Jakob nach Luleå. Ich habe ihn dort vor mehr als zwanzig Jahren mal gesehen, er war vollkommen vor die Hunde gegangen. Früher war er einer der Besten gewesen, aber jetzt hat er am ganzen Körper gezittert. Er stand vorm Laden und trat von einem Bein aufs andere. Und als er mich entdeckte, hat er sich richtig gefreut. Er hat mich gleich wiedererkannt, obwohl es doch so lange her war.  ›Hej‹, hat er gerufen,  ›komm, ich will dir was zeigen.‹ Und dann hat er einen ganz neuen Ausweis herausgeholt. Ich habe ihn mir angeguckt und gesehen, dass er seinen finnischen Nachnamen verändert hat. Ab da hieß er Lovenberg.«
    »Lovenberg?«
    »Ja. Und sein Sopperodialekt war fast ganz verschwunden. Wir haben uns eine Weile unterhalten, und er hat mich gefragt, ob Martin Udde noch leben würde. Oh ja, habe ich geantwortet. Das ist gut, hat er gesagt, dann werde ich ihn umbringen.«
    »Das hat er gesagt?«
    »Und die ganze Zeit, während wir uns unterhalten haben, musste ich daran denken, wie ich den Zeigestock geholt habe. Er hat nie ein Wort darüber verloren, aber mir war es peinlich. Darum habe ich ihm fünfzig Kronen gegeben, als wir uns verabschiedet haben. Und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, ich habe gehört, dass er nach Stockholm gezogen sein soll.«
    Esaias betrachtete seine Mutter. So viele Worte. Sie hatte den Schmerz auf Finnisch gespürt und ihn dann ins Schwedische übersetzt. Er betrachtete ihr glattes Gesicht, das Kind darinnen, ein kleines Mädchen mit Zöpfen.
    »Soll ich das der Polizei melden?«, wollte sie wissen. »Dass Jakob ihn umbringen wollte …«
    »Älä saatana«, protestierte Papa.
    Der Schmerz der Frauen, dachte Esaias. Wie anders er doch ist. Hart wie eine Federspitze. Der Schmerz der Männer saß in einer Geschwulst mitten im Brustkorb, direkt unter dem Brustbein. Wenn er detonierte, schoss er durch die Schultern hinab in die Arme und wurde zu Gewalt. Der Schmerz der Frauen war eine Nadel, durch die das Gift gepresst werden sollte. Sie stach durch Stahl. Durch Zeit.
     

23
     
    Therese war bei ihrem dritten Manhattan. Es brannte hinten auf der Schulter, die angespannt und empfindlich war nach den Nadeln. Das Mädchen im Kellerstudio hatte Jeanne d'Arc geähnelt. Ein vollkommen neutraler Gesichtsausdruck, in den man alles, was man wollte, hineinlesen konnte. Sie trug rosa Gummihandschuhe und einen Mundschutz

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