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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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gelebt, der Nachbar hatte sie neben dem Hackklotz gefunden, immer noch mit der Axt in der Hand. Esaias war oft als Kind dort gewesen und erinnerte sich an ihre großen, warmen Hände und wie sie die runzlige Oberlippe spitzte, wenn sie sich auf den Flurhocker setzte und sich ihre alte Krummpfeife anzündete.
    »Es ist das Dach«, fuhr sein Vater auf Meänkieli fort. »Wir müssen es vor dem Winter richten.«
    »Emmäkös myy sen? Sollten wir den Hof nicht verkaufen?«, schlug Esaias vor.
    »Den kann man doch nicht verkaufen!«, rief seine Mama empört auf Schwedisch aus.
    »Aber es lebt doch niemand mehr dort.«
    »Die Familie«, protestierte sie. »Die Tanten und alle Cousins und Cousinen, wo sollen die denn wohnen, wenn sie herkommen?«
    »Aber die kommen doch nie her.«
    »Natürlich tun sie das, schließlich ist es Omas altes Haus, in dem du immer in den Sommerferien warst, Esaias  …«
    Er spürte, wie die Wut in ihm wuchs. Wenn die Wurzeln ihnen so wichtig waren, dann konnten die Verwandten aus dem Süden doch herkommen und es instand setzen. Die Sommertornedaler. Die wie die Schmeißfliegen in den Ferien angeschwärmt kamen, aber schon lange vor den Minusgraden wieder hinunter zu ihren Bürgersteigen flohen.
    Mama starrte ihn an. Da war noch etwas anderes, Schlimmeres, was sie auf dem Herzen hatte.
    »Musst du ins Gefängnis?«, wollte sie schließlich wissen.
    »Ich habe das Schwein nicht umgebracht«, erklärte er ausweichend.
    »Wir haben ja nur dich«, beharrte sie. »Wir konnten dir ja keine Geschwister schenken.«
    Esaias hob die Hände, wusste, was jetzt kommen würde.
    »Und eine Frau findest du auch nicht!«
    »Was zum Teufel hat das damit zu tun?«
    »Was glaubst du denn, wer dich haben will?«
    Der Vater mischte sich ein:
    »Sanothaan kylälä että se olit sie. In der Stadt heißt es, dass du es warst.«
    Erst jetzt bemerkte Esaias, wie erschöpft sein Vater war. Wie fahrig.
    »Das lag doch nur an dem Schlachtblut im Auto«, erinnerte Esaias auf Meänkieli. »Die Polizei hat geglaubt, das wäre von dem Kerl. Aber du warst es doch, es war deine Idee, dass wir auf Sommerjagd gehen sollten!«
    Papa sagte nichts, hustete nur leicht. Dachte an das Elchfleisch in der Gefriertruhe. An den Schlachtplatz, den niemand gefunden hatte. Sie waren sorgfältig vorgegangen, hatten alles in einen Ameisenhaufen hineingeschaufelt, sogar die Gewehrkugel hatten sie am Schulterblatt finden können und mitgenommen. Es sollte kein Risiko sein. Und trotzdem saß es tief in ihm, dieses alte Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben.
    »Glaubst du etwa, ich hätte es getan? Glaubst du, dass ich so bescheuert bin?«
    Papa zuckte mit den Schultern. Schob sich ein Stück Würfelzucker zwischen die Lippen. Mama verfolgte jedes Wort mit angespannter Aufmerksamkeit. Papa schlürfte den Kaffee in sich hinein. Die schwarze Hitze löste das Stück Zucker auf, verwandelte es in groben, süßen Kies.
    »Der Kerl war ein Schwein«, sagte er kurz.
    Nein, ein Hecht, dachte Esaias. Aber jetzt ist er endlich aufgeschlitzt worden.
    Wieder wurde es still. Das Essen lag schwer im Magen. Seine Mutter öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Der Dompfaff verließ die Eberesche und flog unsicher auf den Wald zu. Das Radio lief im Hintergrund. Die Meänkielisendung des Lokalsenders in Pajala. Stig Karlstörm interviewte Schüler über die Schwierigkeit, einen Sommerjob zu finden. Er stellte die Fragen in seinem zurückhaltenden Finnisch. Sie schienen ihn zu verstehen, antworteten aber lieber auf Schwedisch. So weit war es gekommen. Die kommende Generation konnte die Sprache nicht mehr sprechen. Bald würde sie für alle Zeiten verschwunden sein.
    »Martin Udde war ja mein Lehrer«, sagte Mama.
    Da sie Schwedisch sprach, war der Satz an Esaias gerichtet.
    »Ja, ich weiß«, antwortete er.
    »Bevor er Zöllner wurde. Und ich musste jetzt an etwas denken, was damals passiert ist.«
    »Was meinst du?«
    »Er wurde so schrecklich wütend. Ich kann mich daran erinnern, dass wir einmal einen Aufsatz schreiben sollten, und er ist aus dem Klassenraum gegangen. Er sagte, er müsse Holz für den Ofen holen, was sonst der Hausmeister immer machen musste. Einer der Brüder Leinonen schrieb über Käfer. Jakob hieß er, und ihm fiel nicht ein, was kiiski auf Schwedisch hieß. Also fragte er seinen Banknachbarn auf Finnisch danach. Der Junge war ganz eifrig, er war ja so interessiert an Käfern. Aber genau in dem Moment kam Udde zurück. Er war ganz außer sich,

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