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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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in einer Oper.
    Sie sah im Spiegel, dass sie hübsch war. Verschwitzt und hübsch. Die Muskeln waren voller Blut, angeschwollen und angespannt. Das Gesicht hatte eine frische Farbe, ihr Haar war zu einem sportlichen Knoten hochgebunden. Sie trug das schwarze, eng anliegende Trikot, blaugraue Leggins, sie ähnelte diesem obligatorischen weiblichen Soldaten im Kommandotrupp in den Hollywoodfilmen. Umgeben von den anderen Archetypen: dem schwarzen Hünen aus dem Ghetto, dem Italotypen mit seinem Kruzifix, dem blonden, irischen Prachtburschen, dessen Vater im Vietnamkrieg gestorben war. Und sie selbst war die Schlimmste von allen, sie war die Härteste, sie hüpfte in die Latrinengrube, stieß das Bajonett in die Heusäcke und sprang in voller Montur in ihren schicken Marschstiefeln über die Hindernisse. Aber am allerletzten Abend, bevor sie ausrücken sollen, taucht sie in einem roten Traum aus Seide auf hohen Absätzen in einer Parfümwolke auf, und niemand erkennt sie. Alle Köpfe wenden sich ihr zu, und der Offizier in seiner weißen Ausgehuniform bittet sie zum Tanz, und sie tanzen mit steifer Eleganz, die bald zerfällt und zu Fleisch und Hüften wird, und das Licht über dem Tanzboden tropft wie Blut, während die Kamera immer näher herankriecht. Lippen, die sich begegnen und berühren, die saugen wollen, umschließen, und da ist sie es, die sich in einer heftigen Bewegung losreißt und hinausstürzt. Zurück auf dem Boden bleibt ein einsamer Hackenschuh liegen, wie im Märchen. Und am nächsten Tag geht die Transportmaschine, und bereits beim ersten Gefecht stirbt sie, verschüttet unter Asche und kaputten Mauersteinen, während ihr Herz das Blut über die Uniform pumpt.
    Die Musik dröhnte über sie hinweg. Hiphop, geile, nasale Knabenstimmen, die Sex und Geld haben wollten. Sex und Geld. Der Bass war im Brustkorb zu spüren, die Wasserflaschen zitterten. Nur ab und zu war ein Geräusch von den Gewichten zu hören, ein Stöhnen, eine Gewichtstange, die in die Metallhalterung fiel. Die Musik machte alles noch wärmer. Man wurde durstig von ihr.
    Therese ging zu den Scheibenhanteln, die frei geworden waren, tauschte die Gewichte und schnallte sich den Gürtel um. Zog fest zu, bis sie den Druck auf den Kreuzmuskeln spürte. Dann drückte sie die Schultern gegen die Stange und presste sie verbissen aus der Halterung. Den Blick fest auf den Spiegel gerichtet. Acht Kniebeugen, verflucht noch mal!
    Die Musik. Die Muskeln. Diese pulsierende, von der Haut umhüllte Einsamkeit.
     
    Therese überquerte den Nybroplan im Feierabendverkehr. Ein junger Skater aß eine Chorizo in einer warmen Wolke aus Knoblauch, zwei gegelte Einwandererjungen trugen in langen Rollen irgendwelche Zeichnungen, eine Frau, die unter Drogen stand, wartete an der Bushaltestelle, sie roch nach Medizin und Motten, ein herrenloser Hund streunte um einen Lampenpfeiler herum wie ein Computerspiel, das sich aufgehängt hatte.
    Sie konnte sich hinstellen, wo sie wollte, sie wurde zum Mittelpunkt. Stellte sich wie ein Fahrgast in die Buswarteschlange. Zögerte eine Weile. Dann ging sie fort, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. So war es in der Stadt, man saß auf einem Caféstuhl, in einem Bus, auf Barhockern oder Friseursesseln, und man stand auf. Man setzte sich, und man stand auf, und hinterher blieb kein Abdruck, nicht einmal eine Spur von Abnutzung.
    Der Körper war wie immer nach dem Krafttraining deutlich zu spüren. Weich. Dampfend. Der Mund klebte angenehm nach dem Espresso, den sie sich gegönnt hatte. Espresso ohne Zucker. Reiner, starker Kaffeegeschmack, direkt ins Herz gekippt.
    Zum Norrmalmstorg, in die Biblioteksgatan. Die Geschäfte dort verkauften alles Mögliche. Sie sah einen alten, heruntergekommenen Penner, der ins Stocken geraten war. Er kämpfte in seiner ausgefransten Jeansjacke gegen den Strom, mit starrem Blick kaute er auf vom Stoff verrotteten Zahnstummeln. In seiner Faust kroch etwas Schwarzes, Glänzendes, war das sein Haustier? Therese näherte sich ihm und schob die Zungenspitze vor. Nur noch ein Schritt, dann erkannte er den Geruch nach Bullen und wich schreiend zurück, die Arme wie Flossen ausgebreitet, Speichelblasen um den Mund. Nur Luft, nur Dreck in der Luft.
    Ein paar Sekunden blieb sie stehen, den Sportbeutel über der Schulter. Stockholm war zu klein. Sie spürte bereits seit einer Weile, wie es sich zusammenzog, aber in dieser Sekunde wurde sie davon überwältigt. Ein Gefühl des Eingesperrtseins. Ein

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