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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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es.«
    »Ach so …«
    »Es ist besser als nichts.«
    Ånderman brach die Versiegelung einer Plastikflasche.
    »Ich bin am liebsten allein hier unten«, erklärte er, ohne sich umzudrehen.
    »Entschuldige.«
    Langsam desinfizierte er die Platte, pedantisch wie vor einer Herzoperation. Sprühte mit der Flasche und rieb mit Einmaltüchern.
    »Hierher komme ich, wenn ich muss«, sagte er und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf alle Metallschränke mit den Akten, die Regale und nummerierten Fächer, die sich in einem unübersichtlichen Labyrinth verloren.
    »Hier gibt es die Fragen. Verstehst du, nur Fragen. Was ist passiert, wer hat die Tat begangen und warum?«
    »Und niemanden, der antworten kann?«
    Ein Papiertuch nach dem anderen warf er in den Mülleimer, sorgfältig, als zähle er sie. So können nur Männer sauber machen, dachte Therese. Als folgten sie einer Gebrauchsanweisung. Als alles fertig war, musterte er den Arbeitsplatz, um zu sehen, ob er etwas vergessen hatte. Stellte den Mülleimer auf dem Fußboden zurecht, schob den Bürostuhl gerade. Erst als alles wieder an Ort und Stelle war, rollte er sich die Gummihandschuhe herunter, nahm den Mundschutz ab und warf beides ebenfalls in den Müll.
    »Dieser Mord in Pajala«, sagte er. »Weißt du, warum es so langsam damit läuft, was das Hauptproblem bei diesem ganzen Fall ist?«
    »Keine Zeugen?«
    Er stellte sich ganz dicht neben sie.
    »Liebe«, sagte er heiser. »Der Mangel an Liebe. Es gab nicht einen einzigen Menschen, der Martin Udde geliebt hat.«
    Sie betrachtete Ånderman. Er hielt das Glas mit dem Schlamm an die Brust wie ein kostbares Vogelei. Gleich sollte es hinauf ins Tageslicht, unter die kräftigen Lampen, unter das Mikroskop und die Pipetten der Gerichtstechniker.
    »Ich wollte dir eigentlich nur von Martin Uddes Tagebuch berichten«, sagte sie. »Eines der erwähnten Kinder ist gefunden und befragt worden, ein inzwischen 68jähriger Mann. Er hat bestätigt, dass Udde sich während seiner Zeit als Lehrer an Kindern vergriffen hat.«
    »Und wie?«
    »Anal.«
    »Sssss …«, stieß Ånderman den Atem aus. »Sssss …«
    Er ist zu nah, dachte Therese. Er ist ja wohl nicht verliebt in mich.
    »Und noch etwas«, fuhr sie eilig fort. »Ich muss wohl die Ermittlungen abgeben.«
    Sie hätte seine Haare zählen können. Die Haut, die nach der morgendlichen Rasur glatt gewesen war, hatte jetzt Stoppeln über der Oberlippe, höchstens den Bruchteil eines Millimeters lang, sie konnte jeden einzelnen Punkt mustern.
    »Warum das?«
    »Ich habe mit einem geschlafen. Mit einem Verdächtigen.«
    Die Flasche rutschte weg, aus seinen Händen, und zerbrach auf dem Steinfußboden. Schlamm und Splitter spritzten über seine Schuhe.
    Nein. So war es nicht.
    Ånderman hielt immer noch die Flasche ans Herz gedrückt wie eine erloschene Lampe. Er stand ganz dicht neben ihr, und er sagte kein Wort. Er war vollkommen still.
     

38
     
    Esaias durchquerte das Menschengewimmel auf dem Hötorget und setzte sich ein Stück hoch auf die Treppe zum Konzerthaus. Über ihm erhob sich die imposante Architektur mit blaugetönten und eigenartig wolligen Wänden. Wie Frottee. Als wäre das gesamte, hundertjährige Gebäude in ein flauschiges Handtuch gewickelt.
    Auf den Pflastersteinen davor war Markt. Türken, Araber und Kurden füllten Tüten mit Obst und nahmen mit großen, ausladenden Handbewegungen das Geld entgegen. Rundherum wuchsen die Fassaden in den Himmel, der Wind konnte nicht recht zupacken, die Luft war vom Autoverkehr gesättigt, eingesperrt. Irgendwie hatte er in der Hauptstadt immer das Gefühl, drinnen zu sein. Der Bürgersteig sah aus wie ein Fußboden. Der gesamte Citykern war ein hektischer, viel besuchter Lagerraum. Allein das Dach fehlte.
    Hinten bei den Kungshallarna sah er die Menschen ein und aus strömen. Es zog ein wenig im Magen, ein Hot Wok wäre jetzt nicht schlecht. In der Tüte bei sich hatte er seine Vorräte für den Winter in Pajala, Tamarindenpaste, getrocknete Algen, Bombay fish masala, drei Sorten Sambal und ein Bündel hoi fung, in Spiralform gewunden mit dem erlesensten Duft nach Rauch und Zitrone.
    Ein magerer Skater in viel zu großer Militärjacke, die Cap falsch herum auf dem Kopf, saß zwei Treppenstufen höher und sog hektisch an einem Joint. Er versteckte ihn in der Handkuppel, doch der Duft entlarvte ihn. Unterhalb von ihm blühte ein Mädchenbukett. Alle redeten in ihre Handys, bis auf eine. Sie spähte mit schweren, klappernden,

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