Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
ihr tot seid.
     

39
     
    Das Restaurant »Gående Bord« lag ein paar Minuten vom Odenplan entfernt, ganz oben unter den Giebeln eines wie zu einem Schiff renovierten Bürokomplexes. Ein Türwächter in Kommandeursuniform hakte sie auf einer Liste ab und ließ sie in einen aus Weide geflochtenen Fahrstuhlkorb treten. Die Schachttür glitt zu, und sofort begann die ganze Sache sich bedenklich zur Seite zu neigen.
    »Halt!«, rief Esaias und klammerte sich an ein Manilaseil.
    »Fühlst du es denn nicht?«, fragte Therese und lachte über sein Gesicht.
    Sie balancierte breitbeinig in ihrem blaugrauen Kleid und ging mit der Bewegung mit. Esaias gelang es, den Rhythmus zu finden, ließ sich los und schaukelte mit.
    »Seegang«, murmelte er.
    »Das Meer«, nickte sie und lauschte dem Schrei der Möwen, bis sie sanft das Dachgeschoss erreichten.
    Das Lokal sah ein wenig schief aus, das war sein erster Gedanke. Wie auf einer Finnlandfähre. Fenster in alle Richtungen mit Blick über Vasastad und Kungsholmen wie von einer erhöhten Kommandobrücke. Weiche, seegrasfarbene, dämpfende Teppiche. Eine Bar in der Mitte, kreisrund und erleuchtet, die Besatzung mit åländischen Kochmützen hinter dem Messingtresen.
    Eine Frau in einem weißen, zweireihigen Smoking nahm ihre Mäntel entgegen, eine andere brachte sie zu einem kreisrunden Tisch ohne Beine. Stattdessen hing die Tischplatte an einem Metallarm, der an der Decke befestigt war.
    »Sie hat die Stühle vergessen«, bemerkte er.
    Therese lächelte und beugte sich vor. Griff nach einem Stift, auf dem »Marine« stand, und musterte die elektronische Speisekarte.
    »Es gibt keine Stühle«, sagte sie. »Wir fangen mit einer Bloody Mary an, ja?«
    Bevor er protestieren konnte, drückte sie zweimal kurz mit dem Stift auf den Bildschirm und war schon einen halben Meter weit entfernt. Der Tisch auch.
    »Hä?«
    Jemand gab ihm einen Knuff in den Rücken. Der Schlipstyp vom Tisch hinter ihm. Therese musste kichern, dass ihr die Tränen kamen.
    »Gehender Tisch«, räusperte Esaias sich und begann erst jetzt die Konstruktion im Dunkel zu erkennen. Alles drehte sich in dem Lokal. Die Bar und die Tische segelten langsam herum, und die Gäste folgten mit kleinen Schritten hinterher. Dadurch änderte sich der Blick nach draußen jede Minute. Ein Rasseln war zu hören, als ein kettengetriebener Lift sich oben entlang der Dachbalken näherte und sich mit zwei gewürzten Tomatensaftdrinks herabsenkte. Esaias machte einen weiteren großen Schritt, um an den Tisch zu gelangen.
    »Du gewöhnst dich dran«, tröstete sie ihn.
    Als Vorspeise nahmen sie eine Ostseesuppe mit Algen, lang und weich wie Spaghetti. Die Teller kamen mit dem Lift heruntergerasselt, während sie selbst die leeren Aperitifgläser hinaufschickten. Esaias musste lange überlegen, bis ihm einfiel, wonach das Seegras duftete. Nach finnischer Salzgurke. Eine Spur säuerlich mit etwas Klebrigem.
    »Was ist das hier für ein Ort?«, fragte er eine halbe Runde weiter.
    Genau in dem Moment war ein Schuss zu hören. Kurz darauf noch einer. Jemand schrie, und mitten im Lokal sank ein älterer Herr zu Boden. Seine Frau beugte sich über ihn. Eine trampelnde, leicht hinkende Gestalt verschwand über den Bürgersteig. Dann erlosch das Licht über der Bühne.
    »Ein Hologramm«, flüsterte Therese.
    Draußen verdunkelte sich der Himmel über Stockholm, tief unter ihnen wurden die Glühwürmchen entzündet. Straßenlampen, Wohnungsfenster und langsam dahinschleichende Autoscheinwerfer. Die Stadt verwandelte sich in ein Schmuckstück. Es entstand eine sonderbare Schönheit, ein Fieber.
    »Wir haben Glück, dass wir einen Tisch gekriegt haben«, sagte sie. »Ein Freund von mir kennt den Oberkellner, sonst hätte es nicht geklappt.«
    Plötzlich erbebte die Bar, und alle Lichter erloschen, alle Tische blieben stehen. Gelbe Warnlampen blinkten im ganzen Raum auf. Frauen in Schwimmanzügen bliesen in Trillerpfeifen und rannten zwischen den Tischen herum, während sie im Schein der Taschenlampen zeigten, wie man die Rettungswesten anziehen sollte.
    »Estonia!«, rief Therese aus. »Schnell, schnell!«
    Esaias fummelte mit dem Zeigestift und drückte in der kurzen Zeit, während sich der Gewinngutschein zeigte, auf den Bildschirm. Sofort brachte der Lift zwei eiskalte Shots mit geharztem Wodka. Die Beleuchtung wurde wieder eingeschaltet, und die Tische begannen sich erneut zu drehen.
    »Estonia«, wiederholte Esaias.
    »Ja, das gibt einem schon

Weitere Kostenlose Bücher