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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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ozonblauen Wimpern umher, ein flirtender Blick huschte über ihn hinweg, ohne innezuhalten – nicht interessant, zu alt.
    Esaias lehnte sich ein wenig zurück, stützte die Ellbogen auf eine Treppenstufe und betrachtete den Verkehr, der auf der Kungsgatan vorbeibrauste. Er kam an einer Ampel zum Halten, an der gestresste Nachmittagsmenschen mit Rucksäcken, Einkaufstüten oder scharf geschnittenen Aktentaschen hinübereilten. Eine Gruppe von Einwanderermädchen schlenderte in einem dichten Klumpen vorbei und mampfte Krupuk aus einer gemeinsamen Papiertüte. Alle vier waren auffallend klein, wie alte Tornedalfrauen, kompensierten das jedoch mit wolkenkratzerhohen schwarzen Plateauabsätzen unter den Jeans.
    Weit oben am Himmel war der weiße Streifen eines Düsenjets zu sehen.
    Schweden, dachte er. So ist es hier unten in Schweden.
    Für mehrere Sekunden schloss er die Augen und bekam das Gefühl, als würde alles schwanken. Der Boden, das gesamte zusammengegossene Betonfundament der Stadt, wankte sacht hin und her, vor und zurück wie eine riesige Wiege. Zuerst dachte er, es läge an der Untergrundbahn, dass die schweren Waggons den Hötorget erzittern ließen.
    Dann dachte er, es wäre der Stress.
    Und schließlich meinte er, dass etwas in ihm dabei sei, sich in einen Vogel zu verwandeln. Es war der Flügelschlag, den er spürte, während er sich wie ein Däumling an das glänzende, steife Federkleid der Gänsemutter klammerte.
    Schweden. Stockholm. Von hier kommt er, dieser gelbe Senf, der über das Land gepumpt wird. Hier haben sie das Herz versteckt.
    Als er die Augen wieder öffnete, war etwas dazugekommen. Eine Haut. Ein ganz schwacher violetter Farbton, wie bei einem alten Fernsehapparat, kurz bevor die Bildröhre kaputtgeht. Das Mädchenquartett auf der Treppe war verschwunden, stattdessen saßen dort jetzt zwei Männer mit Pferdeschwanz und aßen Kirschen. Sie schmatzten, dass der Saft nur so spritzte. Süßsauer. Sie hatten etwas Lüsternes, Unersättliches an sich.
    Esaias hob den Blick zu einem Mann in einer lilaglänzenden Lederjacke auf, der ein paar Pfirsiche kritisch drückte. Der Verkäufer hatte lederbraune Lachfältchen und eine Tage-Erlander-Brille. Er füllte eine Tüte mit gelben, samtweichen Früchten und anschließend einigen kleinen blauen Pflaumen. Die Lederjacke bezahlte und verschwand im Gewühl, zum PUB hin. Eine Kopfdrehung, ein hastiger Blick im Profil. Die Nase, die tief liegenden Augen.
    »Voi piru!«
    Der Junge mit dem Joint blinzelte verwundert, als Esaias davonsprang. Zwischen den Ständen hindurch. Schnell durch das Gedränge zu der Stelle hin, wo die Jacke verschwunden war. Knuffe, gemurmelte Entschuldigungen, spähende Seitenblicke, doch vergebens. Er erreichte den Steinlöwen in der Drottninggatan und ging aufs Geratewohl nach links, kreuzte den Menschenstrom zum U-Bahn-Eingang bei Åhlens. Und hier, atemlos und leicht verschwitzt, stellte er fest, dass er die Essenstüte vergessen hatte. Er eilte zurück zum Konzerthaus, aber die Tüte war verschwunden, genau wie der Junge mit dem Joint.
    So eine Scheiße.
    Das war Pettersson gewesen. Pettersson war in Stockholm. Esaias schaute sich aufmerksam um. Langsam ging er die Treppe des Konzerthauses hinauf, auf die fast obszön flauschige Wand zu. Ein Schild informierte, dass die Kunsthochschule dahinterlag. Esaias strich mit den Fingerspitzen darüber und spürte, wie das Äußere zurückwich. Jetzt konnte er es erkennen. Es waren Papierschnipsel. Zerkaut und festgeklebt in einer dicken Schicht über die gesamte Steinfassade.
    Es gab auch Farben. Diskrete blaue und rote Nuancen. Esaias beugte sich näher heran und erkannte Buchstaben. Einen kleinen, zusammengeknüllten Text. Er trat ganz nah heran, millimetergroße Buchstaben, GES RI. Und jetzt entdeckte er auch das Muster. Kleine Wellenlinien. Ein Raster. Dünne, gebündelte Striche. Ein winziger Pferdekopf. Und ein Auge, mit haarfeinen blauen Linien eingeritzt. Es war ein Frauenauge. Er hatte es schon früher gesehen, aber wo? Und zwar ziemlich oft.
    Plötzlich fiel es ihm ein.
    Schwedens Reichsbank.
    Die gesamte riesige Fassade war bedeckt mit alten, bemalten schwedischen Geldscheinen. Milliarden schwedischer Kronen, mit Selma Lagerlöf und Linne, erstreckten sich in den wolkigen Stockholmer Himmel. Er riss einen kleinen Fetzen heraus und hielt ihn zwischen den Fingerspitzen. Ließ ihn los und sah zu, wie er zu Boden segelte. Hier landet ihr also, dachte er. Hier landet ihr, wenn

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