Der Mann, der wirklich liebte
Leyen war als Einziger nett zu mir und hat richtig mit mir geredet!«
»Unser Chef ist leider zusammen mit Professor Leyen auf einem mehrtägigen Kongress.« Die Sekretärin stellte die Kaffeetasse auf ihren Schreibtisch und machte keinerlei
Anstalten, Röhrdanz in ihr Reich zu bitten. »Wegen Ihrer Frau haben beide ihre Vorträge verpasst. Die müssen sie heute oder morgen nachholen.« Ihr Tonfall hatte etwas Vorwurfsvolles, so als wäre Angela mit Absicht krank geworden, nur um die Professoren von ihrem Kongress abzuhalten.
Röhrdanz war fassungslos.
»Warten Sie bitte draußen«, sagte die Sekretärin, während sie ein paar Unterlagen auf dem Schreibtisch umsortierte. »Ich versuche den diensthabenden Oberarzt zu erwischen.«
Ihr Gesichtsausdruck machte Röhrdanz unmissverständlich klar, dass er für sie nichts weiter war als ein lästiges Insekt.
Sie griff zum Telefon, wählte eine Nummer und kickte die Tür mit dem Fuß zu.
Röhrdanz stand wieder allein im Wartebereich. Thomas hatte ihn hergefahren, war dann aber wieder verschwunden, als er merkte, dass sich nichts tat. Thomas musste schließlich zur Arbeit, wie Röhrdanz eigentlich auch. Aber die Firma schien auf einem anderen Planeten zu sein.
Röhrdanz wartete. Die Beine waren wie Pudding. Er griff nach dem Garderobenständer, um irgendwo Halt zu finden. Der Garderobenständer schwankte bedenklich. Ein vergessener Hut fiel zu Boden.
Röhrdanz musste sich setzen.
»Ich begreife das nicht«, murmelte er fassungslos. »Ist denn hier kein Mensch zuständig?«
Das penetrante Ticken der Uhr war das einzige Geräusch, das ihm antwortete.
Röhrdanz betete. Lieber Gott, bitte lass diesen Albtraum vorübergehen. Bitte lass meine Angela gleich froh und munter vor mir sitzen und sagen: »Ich hab gestern nur ein bisschen geschwächelt. Sie päppeln mich hier wieder auf. Ich fühle mich schon viel besser. Morgen darf ich heim.«
Die Tür des Sekretariats wurde abrupt wieder aufgerissen.
»Sie haben Glück.« Die Sekretärin nahm einen Schluck Kaffee und hinterließ einen dunkelroten Lippenstiftabdruck auf ihrer Kaffeetasse.
»Wie bitte? Ich habe Glück?!« Röhrdanz sprang so heftig auf, dass der Stuhl hinter ihm fast umkippte. Seine Nervosität war kaum noch zu steigern. Sollte sein Gebet erhört worden sein?
»Ja. Der diensthabende Oberarzt ist schon im Haus. Er dürfte jeden Moment bei Ihnen sein.«
Röhrdanz spürte, wie sein Herz hämmerte. Er schloss die Augen und zwang sich, ganz tief ein- und auszuatmen.
Jetzt. Endlich würde jemand mit ihm sprechen. Endlich würde er Auskunft über Angelas Zustand bekommen.
Auf dem Flur hörte er polternde Schritte, die Tür wurde aufgerissen.
Ein schlanker Mann, noch im Mantel und mit einer ledernen braunen Arzttasche bewaffnet, kam herein.
»Sind Sie der Ehemann der Komapatientin?«
O Gott. Koma. Also doch. Röhrdanz durchfuhr es eiskalt. Seine Antwort war mehr ein Wimmern als ein Ja.
»Kommen Sie.« Der diensthabende Oberarzt streckte die Hand aus und zog Röhrdanz, der völlig überfordert und verwirrt hinter ihm her taumelte, in sein Sprechzimmer.
»Setzen Sie sich«, forderte der Oberarzt Röhrdanz auf. »Das, was ich Ihnen jetzt sage, ist nämlich ziemlich starker Tobak.«
Er zog sich seufzend den Mantel aus, beugte sich zur Sprechanlage hinunter und schnaubte: »Mach mir mal einen starken Kaffee! Wollen Sie auch einen?«
»Nein …«
»Mach gleich zwei!« Der Arzt richtete sich wieder auf. »Sie sehen auch so aus, als könnten Sie gut einen gebrauchen.«
Röhrdanz schüttelte heftig den Kopf »Ich bin doch nicht zum Kaffeetrinken hier! Ich will endlich zu meiner Frau!«
»Das können Sie fürs Erste vergessen.« Der Oberarzt setzte sich in seinen Ledersessel. »Ich heiße Dr. Hiller und bin der leitende Oberarzt der Neurologischen Intensivstation.«
»Ich will zu meiner Frau.«
»Die Sache ist die …« Dr. Hiller beugte sich vor, und seine Finger trommelten ungeduldig auf die Schreibtischplatte, während er wie mit einem begriffsstutzigen Kind sprach: »Ihre Frau ist nicht mehr unter uns. Sie ist zwar noch am Leben, bekommt aber höchstwahrscheinlich nichts mehr mit. Sie hängt an Schläuchen und wird künstlich beatmet, wir werden sie auch über kurz oder lang künstlich ernähren müssen, und zwar durch
die Nase. Kein schöner Anblick, das können Sie mir glauben.«
Röhrdanz fühlte sein Herz unter der Zunge schlagen. Er war sich nicht sicher, ob er überhaupt die Worte formen konnte,
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