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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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er hält ihn sicher, er hält ihn warm …
    Was ging ihm denn da ständig durch den Kopf? Wieso kam ihm dieses Gedicht in den Sinn?
    Eigenartig, dachte er. Automatisch machte er das Autoradio an, um ein fetziges Lied zu hören, irgendetwas, das ihn auf andere Gedanken bringen würde. Er warf einen Blick auf seine Frau. Ob sie das störte?
    Angela saß ganz ruhig auf dem Beifahrersitz. Sie hatte die Augen geschlossen.
    Er entschied, das Radio wieder auszuschalten. Wenn sie schlief, würde es ihr zu Hause besser gehen.
    So ein Blödsinn, ärgerte er sich während der restlichen Heimfahrt. Da ist sie fünf Wochen lang unter ärztlicher Aufsicht in einem Müttergenesungswerk, und kein Arzt untersucht sie. Na toll! Zu Hause werde ich sie gleich in die warme Badewanne stecken. Und ihr einen heißen Tee mit viel Zitrone ans Bett bringen. Die Kinder sollen sie heute Abend alle erst mal in Ruhe lassen.
    Er schaute immer wieder prüfend zu ihr hinüber: Das feine Lächeln spielte nach wie vor um ihre Mundwinkel. Hoffentlich träumt sie was Schönes, dachte er.
    Während es draußen bereits dämmerte, ging ihm eine Bemerkung Angelas wieder durch den Kopf. Er wusste auch nicht, wieso er ausgerechnet jetzt daran denken musste. Sie hatte schon das weiße Licht gesehen. Am Ende des Tunnels. Und es war schön gewesen. Sie hatte sich dort drüben schon richtig wohlgefühlt. Nur
seinet- und der Kinder wegen war sie noch mal zurückgekommen.
    Es hatte angefangen, leise zu schneien. Röhrdanz machte die Scheibenwischer an, die gleichmäßig über die Scheiben knirschten. Matschige Schlieren nahmen ihm die Sicht. Jetzt kam noch der lange dunkle Acker, und dann müsste es geschafft sein.
    Als die Straßenlaternen seiner Siedlung am Horizont zu sehen waren, seufzte er erleichtert auf. Na endlich, ging es ihm durch den Kopf. Das war eine lange Heimreise.
    Erreicht den Hof mit Mühe und Not …
    Was für ein Blödsinn, ärgerte er sich, während er in seine Straße einbog. Hinter den Fenstern seines Hauses brannte Licht. Dort warteten sie, seine Männer. Sie hatten alles festlich geschmückt. Sie freuten sich auf Angela, ihren Sonnenschein.
    Röhrdanz fuhr rückwärts in die Garage. Automatisch ging das Außenlicht der Haustür an. Im Schein der Lampe wirkte Angela blass. Sie lächelte immer noch.
    Wie schön sie ist, dachte Röhrdanz. Wie entspannt sie aussieht. Wie sehr ich sie liebe.
    Mit der rechten Hand berührte er vorsichtig ihre Wange und Stirn.
    Sie waren eiskalt.
    Er nahm ihre Hand, die reglos auf der Wolldecke lag.
    »Liebes, wir sind daheim! Mach die Augen auf!«
    Er fühlte einen ganz schwachen Druck ihres Daumens. Oder bildete er sich das nur ein?
    Sie lächelte noch genauso wie vorhin.

    »Angela, bitte mach die Augen auf. Wir sind zu Hause!«
    Doch ihre Augen blieben geschlossen.
    In plötzlicher Gewissheit warf sich Röhrdanz über seine Frau, nahm Angela verzweifelt in den Arm.
    Die Haustür wurde aufgerissen, warmes Flurlicht fiel auf sie beide, und fünf männliche Wesen unterschiedlichen Alters sprangen ihnen erwartungsvoll entgegen. »Sie sind da, sie sind da!«
    »Kinder«, hörte er Helga von drinnen rufen. »Kinder, kommt rein! Ihr holt euch ja den Tod!«
    In seinen Armen das Kind …
    »Nein«, schrie Röhrdanz fassungslos. Aber er schrie es gar nicht. Kein Laut drang aus seinem Mund. Er schaute auf seine Frau herunter, die lächelnd und friedlich in seinen Armen lag.
    Angela öffnete die Augen nicht mehr.
    Angela Röhrdanz war tot.

EPILOG
    Januar 2009
     
     
     
     
    Ein älterer Mann im verknitterten Mantel geht langsam durch den winterlich grauen Stadtpark. Von den sich heftig im Wind biegenden Bäumen fallen vereinzelt braune Blätter. Eine dünne Eisschicht bedeckt den harten Boden, auf den plötzlich einzelne Kastanien kullern. Hinter ihm rennen lachend zwei kleine Jungs her, die begeistert Kastanien einsammeln. Nur wer genau hinsieht, bemerkt, dass der grauhaarige Mann die Kastanien unauffällig aus seiner Manteltasche fallen lässt. Es ist Januar. Die Kastanienzeit ist vorbei.
     
    A m Kolumbarium, der Urnennischenwand, bleibt er stehen.
    Seine Hand streicht über das zweite Fach von links, in der obersten Reihe.
    »Angela Röhrdanz«, steht dort, halb verdeckt von einer einzelnen roten Rose, die dem kalten Wind zitternd trotzt. »Geboren am 23. Mai 1960 - gestorben am 13. Januar 2008.« Seine Finger berühren die Rose, wandern dann langsam nach unten. »Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
    Röhrdanz schaut

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