Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
nicht.
    »Guter Mann, ich glaube Ihnen gerne, dass Sie unter Schock stehen, aber erstens ist der Chefarzt auf einem Kongress, und zweitens ist der Chefarzt nicht Gott. Er würde Ihnen an dieser Stelle genau dasselbe sagen.«
    Nein, dachte Röhrdanz. Das würde er nicht. Er würde nicht so zynisch und grausam mit mir reden. Er würde mich zu Angela lassen und nicht über das Baby sprechen wie über einen halb zertretenen Wurm.
    »Ich will zu meiner Frau.«
    »Bitte sehr.« Der Oberarzt schien fast persönlich beleidigt zu sein ob dieser Forderung. »Schauen Sie sich in Ruhe alles an. Und danach reden wir weiter.«
     
    M it wackeligen Knien betrat Röhrdanz die Intensivstation. Eine mitleidig blickende Schwester namens Gisela führte ihn in einen kleinen Vorraum, zeigte ihm das Fach mit den sterilen grünen Kitteln und half ihm dabei, sich umzuziehen. Er war so fahrig, dass er es nicht schaffte, den Mundschutz am Hinterkopf zusammenzubinden. Die Schwester schien mit geschockten Angehörigen Erfahrung zu haben, sie redete freundlich auf ihn ein, als wäre er ein Kind, das seine Eltern verloren hat.
    Nach dem Anlegen von grünen Füßlingen und dem Desinfizieren der Hände kam Röhrdanz sich vor wie eine verkleidete Marionette. Willenlos schlurfte er hinter
Schwester Gisela her, die eine Zahlenkombination eingab und eine weitere schwere Tür öffnete.
    Ein merkwürdig süßlich-scharfer Geruch nach Blut und Desinfektionsmitteln stieg ihm in die Nase. Zu hören war nur das dumpfe Ächzen der Beatmungsmaschinen hinter den einzelnen Vorhängen. Überall kämpften Schwerkranke um ihr Leben. Er erhaschte einen Blick auf einen alten, eingefallenen Mann. Diese Maschine würde morgen sicher nicht mehr pumpen. Hinter einem anderen Vorhang, der nur zur Hälfte zugezogen war, lag ein kleines Mädchen, leblos und wachsbleich. An ihrem Bett saßen die Eltern, in grünen Kitteln, mit Mundschutz wie er. In ihren Augen stand stumme Verzweiflung. Mit flackerndem Blick versuchte Röhrdanz die neuen Eindrücke aufzunehmen. Die Schwester schob ihn fast liebevoll in Richtung des hintersten Krankenzimmers.
    »Das wird ein schlimmer Anblick für Sie sein.«
    Röhrdanz nickte stumm. Automatisch tastete er nach der Hand der Schwester und fühlte dankbar, wie sie ihn tröstend berührte.
    »Seien Sie tapfer.«
    Der Vorhang wurde beiseitegeschoben.
    Da lag sie. Seine Angela. Mit verzerrtem Gesicht, der ganze Körper verkrampft. Überall Schläuche und Maschinen, die unheimliche Geräusche von sich gaben. Augen und Mund waren weit aufgerissen, der Kopf bandagiert.
    »Hallo, Angela!« Röhrdanz schluckte schwer. »Ich bin bei dir! Ich bin hier!«
    Ihr Blick war starr an die Decke gerichtet. Die nackte
Panik stand darin. So als hätte jemand bei einem Horrorfilm die Pause-Taste gedrückt. Alles in ihm schrie nach »Play!«
    »Kannst du mich hören, Angela?«, flüsterte er fragend.
    Mit zitternden Fingern strich Röhrdanz ihr über die Wange.
    Jemand kam von hinten mit einem dünnen Schlauch und saugte Schleim aus ihrem Rachen ab. Ein widerliches Geräusch wie beim Zahnarzt.
    »Sie würde sonst ersticken«, sagte die Person. »Wir machen das alle zwei Minuten, damit ihr kein Schleim in die Luftröhre läuft.«
    »Aha«, hörte Röhrdanz sich selbst antworten. Sie würde ersticken? An ihrer eigenen Spucke? Wie furchtbar!
    Angela reagierte nicht. Ihr Mund stand so weit offen, dass er ihr Gaumenzäpfchen sehen konnte.
    Röhrdanz versuchte, sich seine Panik nicht anmerken zu lassen. Er erinnerte sich, wie er als Kind versucht hatte, einen halbtoten Schmetterling zu retten. Flieg doch wieder, Schmetterling. Flieg doch weiter! Er sah seine Tränen, mit denen er den Schmetterling endgültig ertränkt hatte. Sofort riss er sich zusammen. Er wandte den Kopf ab und zog ein Papiertuch aus dem Spender, der neben dem Bett hing. Verlegen und beschämt wischte er sich die Augen.
    »Ich heule nicht, Angela. Ich hab mich nur erschrocken. Entschuldigung.«
    Schweigen. Das Sauerstoffgerät zischte heimtückisch.
Ein Ungeheuer, das seine Angela zu verschlingen drohte. »Wir kriegen das wieder hin.« Röhrdanz fixierte seine Frau fest entschlossen. »Du kannst dich gar nicht bewegen, was?«
    Angelas blaue Augen sahen weiterhin starr an die Decke. Lacht doch wieder, ihr blauen Augen. Flieg doch wieder, kleiner Schmetterling! »Kannst du mich hören, Angela?«
    Keine Antwort. Natürlich..
    »Du, was ich dir sagen wollte …« Röhrdanz räusperte sich erneut. »Dem Baby

Weitere Kostenlose Bücher