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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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er sich unbeobachtet fühlte, warf er ihm - ganz gegen seine Vorsätze - auch mal einen fetten Wurstzipfel zu.
     
    D as Schlafzimmer des Röhrdanzschen Hauses lag im ersten Stock, eine Treppe war also immer noch zu bewältigen. Eine junge Therapeutin kam täglich ins Haus. Sie hieß Marianne, eine sanfte junge Frau mit einem langen dunkelblonden Zopf. Sie schaute sich kopfschüttelnd an, mit welchem körperlichen Einsatz Röhrdanz seine Frau die Treppe hinaufwuchtete, und sagte: »Dass Sie noch nicht entzweigebrochen sind, ist ein Wunder. Lieber Mann, wenn Sie nicht selbst im Rollstuhl landen wollen, lassen Sie Ihre Frau ab sofort alleine arbeiten.«
    »Wie soll denn das funktionieren?« Röhrdanz schwitzte und keuchte, als er Angela auf der obersten Stufe absetzte.
    »Sie wird jetzt alleine wieder herunterkrabbeln.« Marianne lächelte.
    Angela stieß einen gequälten Laut aus. »Iih! Niiiimaaa!«
    Röhrdanz deutete ihn als »Das schaffe ich nie und nimmer!«
    »Ich weiß, welche Ängste Sie jetzt ausstehen, Frau Röhrdanz.« Marianne zog Angelas Popo mit geübtem
Griff an den Rand der Treppe, nahm beherzt ihre Füße und stellte sie energisch auf die zweite Stufe. »Sie sehen einen entsetzlich steilen Abgrund, Ihnen ist schwindelig, und Sie haben einfach nur Panik. Das geht am Anfang allen Hirnpatienten so.«
    »Neeeeiiii!«
    Angela ließ sich protestierend auf den Rücken fallen und schrie wie ein trotziges Kleinkind.
    »So kommen wir nicht weiter, Frau Röhrdanz. Sie müssen auf Ihren Mann Rücksicht nehmen. Der kann Sie unmöglich noch länger herumschleppen.«
    Das Argument war zwar nachvollziehbar, doch die nackte Panik ließ Angela hysterisch schreien und heulen. »An - nich!«
    »Kann nicht? Doch, du kannst. Geht nicht, gibt’s nicht!« Beruhigend redeten Röhrdanz und Marianne auf sie ein.
    Angela schüttelte den Kopf und presste die Fäuste gegen ihre Schläfen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie bereit war, sich wieder aufrichten zu lassen.
    »Schlingen Sie Ihre Arme um meine Schultern und rutschen Sie mit dem Po bis ganz an den Rand der obersten Stufe …«
    Gellende Schreie, Gurgeln, Rotanlaufen waren die Folge.
    »Jetzt umschlingen Sie das Treppengeländer … so!« Die Therapeutin führte Angelas Hände, und Angela klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihre Arme.
    So muss es jemandem gehen, der zum ersten Mal Bungeejumping macht. Nur dass Angela durch kein Seil
gesichert war, dachte Röhrdanz. Er konnte die Qualen seiner Frau kaum mit ansehen.
    »Halten Sie sich hier fest, Frau Röhrdanz. Ich zeige Ihnen die genaue Stelle.«
    Tränen liefen über ihre Wangen, Spucke über das Kinn.
    »Komm, Angela, versuch es doch wenigstens …«
    »Frau Röhrdanz, hier, an das Treppengeländer … Nein, nicht an die Hosenbeine Ihres Mannes. HIER halten Sie sich fest, Frau Röhrdanz …« Marianne legte die klammernden Finger energisch um das Geländer, aber Angela wehrte sich mit aller Gewalt. Seit Jahren war sie es gewohnt, dass ihr Mann sie trug und jede Sekunde für sie da war. Sie hatte verlernt, aus eigener Kraft etwas in Angriff zu nehmen.
    Es war ein tragisches Schauspiel, das für Kinderaugen nicht geeignet war. Aber die drei Kleinen verfolgten die Prozedur ängstlich. Röhrdanz wünschte, sie hätten diese Szene nicht mit ansehen müssen, und auch wenn er immer wieder rief: »Geht raus, spielen«, standen sie spätestens beim zweiten tierischen Schrei ihrer Mutter an der Fensterscheibe und drückten sich die Nasen platt. Es war ein Wunder, dass nicht auch noch die Nachbarn zum Schauen vorbeikamen.
    »So, Frau Röhrdanz, das machen Sie prima. Nicht mehr zittern, Frau Röhrdanz. Es passiert Ihnen nichts. Wir fangen Sie auf, falls Sie ausrutschen. Nein, nicht mehr weinen. Sie schaffen das. So. Ruhig. Prima.« Selbst Marianne schnaufte inzwischen vor Anstrengung. Auf ihrer Stirn glänzte der Schweiß. »Ganz ruhig ein- und
ausatmen. Gut. Jetzt lassen Sie die linke Hand los … ja, geben Sie mir Ihre linke Hand. Ganz ruhig, keine Panik … Gut so. Und jetzt stützen Sie sich neben dem Po auf dem Boden auf …«
    Ein Schrei, der wie das Heulen eines Wolfes klang, unterbrach Mariannes Ausführungen. Angela musste sich fühlen, als sollte sie auf einem Seil von einem Wolkenkratzer zum anderen balancieren.
    »Nicht nach unten schauen, Frau Röhrdanz. Schauen Sie mir in die Augen!«
    Der kleine Hund kläffte angsterfüllt dazwischen.
    »Kinder, geht mit Bessy spielen!«, rief Röhrdanz nach unten. Die

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