Der Mann, der wirklich liebte
sowieso kein Mann der großen Worte. Genau das schätze ich so an dir.«
Röhrdanz konnte nicht anders. Er umarmte seinen Chef. Und Richard tätschelte ihm verlegen den Rücken. Die Sekretärin, die die ganze Zeit vor der Türe gelauscht hatte, tupfte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie schaffte es gerade noch, beiseitezutreten, bevor die Bürotür aufging. Es war das erste Mal seit drei Jahren, dass sie Röhrdanz über das ganze Gesicht strahlen sah.
D as Einfamilienhaus brachte unzählige Verbesserungen mit sich. Röhrdanz konnte es kaum fassen: Jedes der Kinder hatte ein eigenes Zimmer, und Oliver hatte im ausgebauten Dachboden sein eigenes Reich.
Es gab zwei kleine Bäder, ein helles, geräumiges Wohnund Esszimmer, eine moderne Küche mit Blick auf den Garten - und das Beste: eine sonnige Terrasse.
Die elende Schlepperei durch das Treppenhaus hatte ein Ende.
Das Gärtchen bot immerhin Platz für eine Schaukel, einen Sandkasten und ein kleines Trampolin. Endlich konnten die Kinder nach Herzenslust toben. Im Sonnenschein
saß Angela nun jeden Nachmittag nach der Rehaklinik auf der Terrasse und konnte ihren Kindern beim Spielen zusehen. Das übermütige Lachen der Kleinen, das Quietschen des Dreirads auf den Steinplatten, das Vogelgezwitscher - all das holte Angela weiter ins Leben zurück. Sie begann, den Kopf zu drehen, um ihre Kinder nicht nur hören, sondern auch sehen zu können. Als einmal ein selbst gebastelter Papierflieger an ihrem Gesicht vorbeischwirrte, hob sie reflexartig den ganzen Arm. Ihre Finger schafften es, den Papierflieger zu greifen. Sie zerdrückte ihn zwar bei dem ungestümen Versuch, ihn zu halten, und Philip weinte bittere Tränen, weil sein kleines Kunstwerk zerstört war, aber Röhrdanz jubelte und klatschte. Angela weinte, vielleicht vor Freude, vielleicht auch, weil es ihr leidtat, dass sie das Spielzeug ihres Sohnes kaputt gemacht hatte. Ein paar Tage danach wippte sie im Takt zu ihren Lieblingsliedern mit den Füßen, und wieder einige Wochen später schaffte sie es, die Knie zu bewegen. Die Fortschritte waren nun deutlich sichtbar, und die Kinder motivierten sie täglich, etwas Neues zu schaffen.
Röhrdanz übte unermüdlich mit ihr, zog sie immer wieder aus dem Rollstuhl, bewegte sie zentimeterweise über den Rasen. Er schob sie sacht rückwärts, so wie er es schon in der Wohnung gemacht hatte. Sie vertraute sich ihm an. Sie hatte auch keine andere Wahl, denn er ließ einfach nicht locker. Ihre inzwischen hundertdreißig Kilo lasteten auf seinen Schultern. In der Tagesklinik hatte er sich von den Pflegern alle Übungen und Griffe abgeschaut. Er führte Angela quer durch den kleinen
Garten und lehnte sie an einen Baum, legte ihre Arme um seinen Stamm. Anfangs knickte sie ein, und er zog sie immer wieder hoch. Die Kinder feuerten sie an. »Mama, du schaffst es! Nicht aufgeben, Mama!«
Es kam der Tag, an dem sie wieder stehen konnte. Sie hielt sich nicht mehr am Baumstamm fest, sie stand, ganz allein! Ein ungläubiges Lachen kam aus ihrem Mund, es klang wie ein Schluchzen. Sie konnte es selbst nicht begreifen.
Die Kinder sprangen jubelnd um ihre Mutter herum, und Röhrdanz wischte sich die Augen.
Er hatte es geschafft. Er hatte geschafft, was ihm keiner je zugetraut hatte. Mit der Kraft eines Löwen, mit dem Vertrauen in seine ganze Liebe, mit einer Unerschütterlichkeit, die andere nur belächelt hatten.
Aber es war ihm auch klar, dass sie noch lange nicht am Ziel waren. Angela musste immer noch unendlich viel lernen.
31
»Herr Röhrdanz, haben Sie mal eine Minute?«
Die Grundschullehrerin kam an den Gartenzaun geeilt, als Röhrdanz Denise gerade ins Auto steigen lassen wollte. Er richtete sich erstaunt auf.
»Hat sie was angestellt?«
»Nein, natürlich nicht. Denise ist ein sehr liebes Mädchen. Nicht wahr, Denise?«
Denise klammerte sich ängstlich an die Hand ihres Vaters und verbarg ihr Gesicht hinter seinem Rücken.
»Kommen Sie einen Moment herein?«
»Ja natürlich, obwohl ich nicht sehr viel Zeit habe …« Röhrdanz wollte der Lehrerin folgen, aber Denise klammerte sich an seiner Hand fest. »Lass doch, Denise! Setz dich ins Auto. Ich komme sofort!«
»Sehen Sie, genau darüber wollen wir mit Ihnen sprechen …« Die Lehrerin nahm Denise mit ins Gebäude. »Sie hat entsetzliche Angst vor dem Alleinsein.«
Röhrdanz nahm auf einem der winzigen Stühle im nunmehr leeren Klassenzimmer Platz. Schwitzend knöpfte er seinen Mantel auf.
Eine große
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