Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
Vom Netzwerk:
Kram brauchte, bis Ziermann stolz erzählte, daß sein
hochbegabter Sohn Romanistik studiert und eines Tages, ganz der Papa,
garantiert Professor würde. Die anderen Artikel, die Benedikt besorgen mußte,
waren über Pfahlbauten. Pfahlbauten sind die Leidenschaft von Ziermann. In
seinen Seminaren über »Architektur im Wandel der Zeiten« bekommt man den
Eindruck, die Welt sei auf Pfählen gebaut. Von der Schweiz bis Südamerika, von
der Steinzeit bis Disneyworld, Amsterdam bis Mexiko — Pfahlbauten, Pfahlbauten,
Pfahlbauten. »Wußtet ihr, daß ganz Venezuela auf Pfählen erbaut ist?« fragte
Benedikt.
    Wir lachten. »Wußtest du, daß
Venezuela das spanische Wort für Venedig ist? Rat mal, warum!«
    »Pfahlbau ist Architektur für
Anfänger, genau das richtige für Innenarchitektinnen«, pflegte Ziermann zu sagen.
Jeder muß zwei Pflichtscheine bei ihm machen, man muß in seinen Seminaren
anwesend sein und noch ein Referat schreiben. Benedikts Job war es, in den
Referaten sämtliche Tippfehler zu unterstreichen. Ziermann hatte ihm gesagt:
»Tippfehler zeugen von Schlamperei, Rechtschreibfehler von Dummheit« und: »Wenn
alle Fehler angestrichen sind, merken die Studenten, daß die Arbeit gelesen
wurde.« Benedikt hatte auf Karteikarten die Anzahl der Tippfehler und die
Seitenzahl des Referats einzutragen und welche Autoren wörtlich zitiert worden
waren und wie oft. Faule Studentinnen würden nämlich in Literaturlisten Autoren
aufzählen, die in der Arbeit gar nicht erwähnt werden, »so komme ich der
Eindruckschinderei der Studenten auf die Schliche«, hatte er Benedikt verraten.
    Außerdem mußte Benedikt jedes
Ziermann-Zitat Wort für Wort prüfen. Jeder Student muß Ziermanns Gesammelte
Werke kaufen, zum Glück hat er nur zwei Bücher geschrieben. Das eine hat 160
Seiten: »Pfahlbauten in Südeuropa im Wandel der Jahrtausende«, das andere 128
Seiten: »Pfahlbauten im Vorderen Orient gestern und heute«. Seit Jahren
arbeitet er über Pfahlbauten in Mexiko, »ein prächtiges Arbeitsgebiet«, hatte
er Benedikt vorgeschwärmt, »ich darf meine Urlaubsreisen steuerlich geltend
machen«.
    Wenn man ein Referat für
Ziermann schreibt, muß man auf Teufel komm raus Ziermann zitieren. Das größte
Problem dabei ist seine furchtbar wissenschaftliche Sprache. In unserem
Semester hatte eine statt »originäre Strukturen der Architektur« mehrmals
falsch »ordinäre Strukturen« zitiert. Und eine andere statt »tradierte
Pfahlbauformen« versehentlich »radierte Pfahlbauformen«. »Typisch Freudsche
Fehlleistungen von Innenarchitektinnen«, hatte Ziermann gemosert. »Wer solche
Fehler nicht merkt, beweist, daß sie nichts kapiert hat.« Es ist auch verdammt
schwierig zu kapieren, was Ziermann meint, ich habe es bis heute nicht
begriffen.
    »Fünf Ziermann-Zitate sind die
Mindestmenge, um eine Eins zu bekommen«, erklärte Benedikt.
    »Vorausgesetzt, du bist keine
Frau«, sagte Elisabeth, »dann bekommst du höchstens eine Zwei, damit keiner ihm
nachsagen kann, er bevorzuge Frauen. Er ist ja so korrekt.«
    Ja, das hatte Ziermann
tatsächlich öffentlich gesagt. Niemand hatte sich darüber aufgeregt, weil wir froh
gewesen wären, überhaupt eine Zwei zu bekommen. Nur Elisabeth hatte es gewagt,
ihm zu sagen, er bevorzuge offensichtlich Männer und es sei ungerecht, wenn er
seine privaten Neigungen zur Richtlinie der Notengebung mache. Ziermann hatte
gebrüllt, er verbitte sich derart unqualifizierte Anwürfe. Wem es nicht passe,
der könne in ein anderes Seminar gehen. Elisabeth hatte gekontert, das sei
nicht der Fall, sein Seminar sei Pflicht. Dann möge sich Elisabeth um eine
Änderung der Studienordnung bemühen, statt ihn zu stören, hatte Ziermann
gebrüllt. Elisabeth ging danach nicht mehr in sein Seminar und war überzeugt,
daß er ihr eine extra schlechte Note für ihr Pflichtreferat geben würde. Damit
Elisabeth Ziermann nicht mehr sehen mußte, hatte ich ihr Referat abgeholt — und
Elisabeth hatte sogar eine 2+ bekommen und ich nur eine 2,5 — obwohl wir exakt
dasselbe, nur in veränderter Reihenfolge, geschrieben hatten.
    »Elisabeth hatte weniger
Tippfehler oder hat ihn einmal mehr zitiert«, vermutete Benedikt.
    »Im Mittelalter hätte man ihn
gepfählt«, sagte Elisabeth. Ihre üblichen letzten Worte zum Thema Ziermann.
    »Auch das größte Übel hat seine
guten Effekte«, meine üblichen letzten Worte zum Thema Ziermann: Schließlich
hätte ich ohne ihn Benedikt nicht kennengelernt.
    »Man müßte Ziermanns

Weitere Kostenlose Bücher