Der Mann, der's wert ist
kehrt ihr in lang bekannte
Gefilde zurück, in das Bundesland eurer Kindheit und Jugend... dennoch ist es
ein Schritt in ein neues Leben! Die Studentenzeit liegt hinter dir, Viola!«
Mein Vater machte ein Gesicht, als hätte er eine Sensation verkündet. Benedikt
applaudierte. »Und deshalb dachten deine Mutter und ich, daß wir dir, unserer
jüngsten Tochter...«
Jüngste Tochter! Als hätte er
ein ganzes Mädchenpensionat aufgezogen.
»...ein Geschenk mit auf den
Weg geben. Ein Geschenk, das deinen Weg erleuchtet, erhellt! Das Erinnerung
sein soll an dein Elternhaus und an dein Examen, das du so blendend absolviert
hast. Das dich, so hoffen wir, durchs ganze Leben begleiten wird.« Große Pause.
»Das war’s, was ich sagen wollte.« Mein Vater war von seiner Rede sehr gerührt.
Applaus.
»Ich kann es kaum erwarten«,
sagte meine Mutter.
»Es ist noch nicht ganz
soweit«, sagte mein Vater, »ich brauch die Hilfe starker Männer.«
»Und Viola muß in der Küche
warten«, rief meine Mutter, »und mach die Tür zu. Bis wir dich rufen!«
Also ging ich in die Küche.
Durch die geschlossene Tür hörte ich Gelächter und Klirren. »Wenn das nur
gutgeht!« rief meine Mutter. Es klirrte leiser.
»Keine Angst, das ist ein
normaler Anschluß«, hörte ich Peter. »Wenn das nur gutgeht!« wieder meine
Mutter.
Alle riefen »Hauruck!«, und es
klirrte wieder.
Solveig kam in die Küche
gestürmt.
»Kann ich kommen, Solveig?«
»Ich will sofort Wein!« Solveig
stampfte mit dem Fuß auf. Sie war kurz vor einem ihrer Tobsuchtsanfälle. Ich bekam
Angst, daß Solveig die Überraschung verderben würde, deshalb sagte ich sanft
wie meine Schwester: »Wenn du im Flur aufpaßt, ob sie mich rufen, dann bring
ich dir sofort Wein.«
Auf dem Küchentisch stand, was
ich brauchte: weinroter Kirschsaft. Ich füllte ein großes Glas und brachte es
Solveig. »Ich will Wein!« Mit wutverzerrtem Gesicht warf sie sich auf den
Boden.
»Das ist Wein«, sagte ich
sanft.
»Ich will ein Glas mit
Stengel!«
Mit Stengel? Das war’s also,
was sie wollte. Ich ging zurück in die Küche, goß den Saft in ein Weinglas und
brachte es Solveig. Zufrieden verzog sie den Mund.
»Paß bitte auf, daß du nichts
verschüttest. Wein macht Flecken!«
»Viola, kommen!« rief es. Ich
ging ins Wohnzimmer.
»Komm raus in den Garten!«
Ich sah hinaus in den dunklen
Garten und sah nichts. Als ich auf die Terrasse trat, wurde es mit einem Schlag
taghell. Ich war geblendet. Bestimmt blieb mir vor Staunen der Mund offen... an
der Platane hing das Tollste, was ich je an einem Baum hängen sah: An einem
Rohr, das über zwei Äste gelegt war, hing der größte, schönste, wahnsinnigste
Kronleuchter!
Ein dreistöckiger Kronleuchter.
Oben sechs vergoldete Leuchterarme, in der Mitte zehn Leuchterarme, unten
sechzehn Leuchterarme. Jeder Leuchterarm war wie ein goldener, geflügelter Drache!
Zwischen jedem Drachenflügelpaar ragte eine gedrehte goldene Hülse mit einer
spitzen Glühbirne. Aus den Drachenmäulern bogen sich Drachenzungen wie Ösen,
daran hingen Prismen aus Kristallglas, zickzackig geschliffen wie Blitze. Ich
sah zweiunddreißig strahlende Glühbirnen, zweiunddreißig goldene Drachen,
zweiunddreißig gläserne Blitze! Wahnsinn!!!
Der untere Teil des
Kronleuchters war so groß, daß ich ihn kaum zur Hälfte umfassen konnte. Von den
sechzehn Leuchterarmen zogen sich sechzehn Ketten aus sternförmigen
Kristallprismen in sanftem Schwung zur Mitte des Kronleuchters, wo sie an eine
goldene Sonne gekettet waren. Und an dieser Sonne hing als Abschluß eine
azurblaue Porzellankugel, bemalt mit goldenen Sternen.
Ich fiel meinem Vater um den
Hals und meiner Mutter. »Vielen Dank, Papa! Vielen Dank, Mama! Wo habt ihr ihn
her? Er ist unglaublich schön!«
»Ich hab ihn für dich
ersteigert. Er ist aus der alten Empfangshalle unserer Hauptfiliale.«
»Hat Ihre Firma bankrott
gemacht?« fragte Peter, ohne den Blick vom Kronleuchter zu wenden.
»Bankrott?!« rief mein Vater
entsetzt, »so was machen wir nicht!«
»Wieso mußte man sonst dieses
Prachtstück verkaufen?«
»Weil der Werbeberater unseres
Konzerns der Meinung war, eine rote, plüschige Empfangshalle und dieser Kronleuchter
mit Drachen und Blitzen passe nicht zum optimistischen Erscheinungsbild einer
modernen Versicherungsgesellschaft. Jetzt wird alles in Orange und Chrom
designt. Es gefällt niemand, aber es ist modern.«
»Der Kronleuchter war das
teuerste Objekt bei der Versteigerung«,
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