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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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erklärte meine Mutter stolz.
    »Er ist aus feuervergoldeter
Bronze«, rief Peter.
    »Ist das etwas Gutes?«
    »Unglaublich gut«, sagte Peter
begeistert. »Das ist ein Wunderwerk alter französischer Manufaktur. Alles ist
so konstruiert, daß man es problemlos zerlegen und in alle Welt verschicken
kann. Jeden Leuchterarm kann man einzeln aushängen. Und jeden Ring einzeln
installieren. Ich muß ein Foto davon haben.«
    »Richtig, ich wollte
fotografieren!« Meine Mutter rannte ins Haus.
    »Ich frag mich nur, wo wir ihn
aufhängen«, lachte Benedikt, »er ist so groß.«
    »Im Empfangsbereich unseres
Hauses würde er hübsch aussehen, meinst du nicht?« sagte Benedikts Mutter.
    »Eigentlich gehört er in ein
Schloß«, rief Benedikt.
    »Wenn ihr jetzt keinen Platz
habt«, sagte mein Vater, »müßt ihr eben warten, bis Viola ein eigenes Büro hat,
und dann hängst du ihn in dein Büro.«
    »Du kannst zuerst einen Ring in
ein kleines Büro hängen, und wenn das Büro größer wird, zwei Ringe, und wenn du
ein Schloß hast, den ganzen Kronleuchter«, sagte Peter. Und er meinte es ganz
im Ernst.
    Meine Mutter brachte ihren
Fotoapparat. Peter wollte fotografieren. »Passen Sie auf, daß nicht nur der
Kronleuchter auf den Fotos ist«, sagte mein Vater. »Auf zum Gruppenbild mit
Kronleuchter!«
    »Wo ist Solveig?« fragte
Annabell.
    »Viola, du mußt dich unter den
Kronleuchter legen, mit deinem Sternenkleid!« rief Elisabeth.
    Der Leuchter endete knapp einen
Meter über dem Rasen, ich legte mich darunter, ohne Rücksicht auf mein Kleid.
So was gibt’s nur einmal. Benedikt legte sich neben mich und küßte mich.
    »Lüstern küßte er sie unter dem
Lüster«, flüsterte er mir zu. Alle klatschten entzückt.
    Frau Mogner, die im ersten
Stock wohnt, kam auf den Balkon und klatschte auch. Herr und Frau Langholz aus
der Dachwohnung kamen in den Garten herunter. Obwohl es beinahe Mitternacht
war, beschloß man, zur Feier des Kronleuchters ein Gläschen Champagner im
Garten zu servieren. Mutter ging den Champagner holen.
    Aus dem Wohnzimmer war ein
kurzes Klirren zu hören. Aus dem Wohnzimmer gellte ein Schrei. »Viola, komm!«
Sekundenlang ahnte ich nicht, was passiert sein könnte.
    Im Wohnzimmer vor der hohen
Kommode stand ein Stuhl. Auf dem Stuhl stand Solveig und lächelte. Auf der
Kommode, in unserem Modell, zwischen den Säulen, den kleinen Schreibtischen,
den kleinen Sesseln, lag ein zerbrochenes Weinglas. Der Teppich, die Säulen,
die Wände, die Möbel, alles war mit roten Spritzern bekleckert.
    Elisabeth nahm das Modell von
der Kommode. Die rote Soße auf dem Teppichboden durchzog sich langsam mit
blaugrauen Schlieren — die Aquarellfarbe, mit der wir die Lichteffekte auf den
Teppich gemalt hatten, löste sich auf, vermischte sich mit dem Kirschsaft. Wir
waren gelähmt.
    »Wie hat sie das geschafft?«
fragte ich schließlich.
    Solveig lächelte, stellte sich
auf dem Stuhl auf die Zehenspitzen, machte eine schwungvolle Handbewegung. »Ich
will den Scheißwein nicht«, sagte sie.
    Mir wurde schlecht. Solveig
hatte das Modell erreicht, weil ich ihr das Weinglas mit dem langen Stiel gegeben
hatte. Mit einem normalen Glas hätten die entscheidenden Zentimeter gefehlt.
Wir hatten dieses Modell gehütet wie die Kronjuwelen, und nun... ich hätte
heulen können... hätte nicht Elisabeth schon geheult.
    »So viele Wochen Arbeit«,
heulte Elisabeth, »und sie läßt dieses Kind unser Modell kaputtmachen.«
    »Verdammte Scheiße, das
verbitte ich mir«, schrie Annabell, »ich habe dieses Kind nichts kaputtmachen
lassen!«
    Solveig fing zu plärren an.
    Ich stellte mich vor Annabell,
um Elisabeth ihren Anblick zu ersparen. Ich umarmte Elisabeth. Ich hatte sie
noch nie heulen sehen. »Diese wahnsinnige Arbeit«, schluchzte Elisabeth, »warum
haben wir es nicht sofort fotografiert?«
    »Du wolltest warten, bis dir
deine Tante das Geld für das Makro-Objektiv schenkt«, sagte ich leise, ich
hatte Angst, es könnte wie ein Vorwurf an Elisabeth klingen. Ich war froh
gewesen, daß Elisabeth sich das Objektiv kaufen wollte, ich hätte auch kein
Geld gehabt, um so ein teures Objektiv für meinen Apparat zu kaufen.
    »Morgen will meine Tante mir
das Geld geben. Morgen ist ein Tag zu spät!«
    »Wir nehmen es mit«, sagte
Benedikt, »Viola hat in den nächsten Wochen genügend Zeit, um es zu
reparieren.«
    »Ich habe auch genügend Zeit!«
heulte Elisabeth. »Wenn ich den Job bei Hagen und von Müller nicht bekomme und
was anderes suchen

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