Der Mann, der's wert ist
üblich,
optimal für uns ausgehandelt. Und es war wirklich besser, sich zuerst einige
Tage einzuleben und nicht sofort mit dem Einrichten beginnen zu müssen. Ich war
wahnsinnig gespannt auf das villenähnliche Großfamilien-Haus von Benedikts
Mutter. Ich würde das ehemalige Zimmer von Benedikts Schwester Medi bekommen.
Wir hatten alles besprochen.
Endlich, spät am
Sonntagnachmittag, fuhren wir los. Als wir auf der Autobahn an dem Frankfurter
Stadtteil vorbeifuhren, wo ich mit meinen Eltern früher gewohnt hatte, klopfte
mein Herz vor Freude: Ich kehrte in die Heimat zurück unter den glücklichsten
Umständen! Mit brillantem Examen! Mit brillanten Berufsaussichten! Und — es
klingt kitschig, aber so ist es: mit dem brillanten Mann meines Herzens an
meiner Seite!!!
Den Vorort, in dem Benedikts
Mutter wohnt, kannte ich nicht, und das Haus lag im Dunkel, als wir in der
Münzbergstraße 19 ankamen. Benedikt hupte dreimal, schon stand seine Mutter in
der Tür: »Mein Junge, willkommen daheim! Ich bin so glücklich, weil du zurück
bist!« Sie sah jünger aus als vorletzte Woche, sie trug einen orangeroten
Jogginganzug, ein interessanter Kontrast zu ihrer grauen Ponyfrisur.
Größte Begrüßung. Lachend
zeigte sie auf ein vergilbtes Schild in einer Plastikhülle, mit Pflasterband an
die Tür gepappt. Darauf stand in krummer Kinderschrift: »Ich bin so glüklich
weil du zurük bist!!!« Oben war links eine lachende Sonne gemalt, unten eine
stromlinienförmige Lokomotive, die schwarze Rauchwolken von sich gab.
»Das hast du gemalt, als ich
damals im Krankenhaus war, als ich die gutartige Zyste an der Gebärmutter
hatte, da warst du acht Jahre alt!« rief Benedikts Mutter.
»Eine E-Lok mit Rauchwolken«,
lachte Benedikt.
»Du warst schon als Kind so
kreativ!«
Ich ging als letzte ins Haus.
Als ich die Tür zumachte, sah ich, daß es anfing zu regnen.
Der Flur war düster.
»Ich soll herzlich von Medi
grüßen, sie ist bis nächsten Sonntag mit ihrem ständigen Verehrer in Urlaub,
sonst wär sie natürlich zur Begrüßung gekommen«, sagte Benedikts Mutter, machte
das Licht im Wohnzimmer an und den Fernseher aus.
Ich erschrak, als ich mich
umsah. Es war ein langes Zimmer, genauer: zwei ineinander übergehende Zimmer,
an beiden Stirnseiten ein Fenster. Im rechten Teil ein Eßtisch mit
cremebräunlicher Häkeldecke. Stühle aus dunkler Eiche. Die Lampe über dem Tisch
war handgeschnitzt, auf fünf klobigen Balken saß je eine Glühbirne, die ein
gerüschtes Häubchen aus Plastikstoff mit Leinenstruktur trug. In der Mitte des
Zimmers ein massiger Schrank aus hellem Ahornholz mit verglastem Mittelteil.
Auf der oberen Glasplatte standen ein gelbes, ein rotes, ein blaues und ein
grünes Weinglas, die makellosen Papieraufkleber >Echt handgeschliffenes
Kristall« bewiesen, daß die Gläser niemals benutzt worden waren. Auf der
mittleren Glasplatte links ein Rauschgoldengel und diverse kleinere, aus
Wollfäden geknüpfte Engel, rechts aus Knetmasse geformte Eierbecher, in denen
von Kinderhand bemalte Ostereier steckten. Jedes zweite Osterei trug einen handgehäkelten
Eierwärmer als Mütze. Zwischen Engeln und Eiern stand eine große Flasche
Klosterfrau Melissengeist. Der Blick in die Vitrine war ein Blick in eine
andere Kultur. Hilfesuchend sah ich Benedikt an.
»Mach mal mehr Licht«, sagte
er.
»Ich mach dir deine
Knutschbeleuchtung an.« Lachend knipste seine Mutter einen Leuchtglobus auf
einem Tischchen neben dem Fernseher an. Im bläulichen Licht des Globus wirkte
das braungrüne Bäumchenmuster der Tapete wie endloser Schimmelkäse.
Links und rechts vom Schrank
hingen Kunstdrucke, auf Spanplatten aufgezogen. Auf der einen Seite van Goghs
Sonnenblumen, passend zu den Sonnenblumen waren die Kanten der Spanplatten
sonnenblumengelb lackiert. Auf der anderen Seite van Goghs Schwertlilien, mit
blauen Kanten. Beim Fernseher eine Sitzecke: zwei Sessel mit grünem Noppenstoff
bezogen, die Sitzflächen mit braunem Plastik. Die Krönung war ein dreibeiniger
Mosaiktisch, mit einer nierenförmig gebogenen Version von van Goghs
Selbstporträt mit abgeschnittenem Ohr. Ich sah sprachlos auf den Tisch.
»Den hat meine Tochter
gestaltet«, erklärte Benedikts Mutter, »Medi ist auch so künstlerisch
veranlagt.« Dann zeigte sie auf eine schmale ausgeklappte Schlafcouch beim
Fenster, darauf lag eine Decke mit orange-braunem Zackenmuster: »Hier darfst du
schlafen, wir gehen jetzt rauf in Benedikts Zimmer.«
Eine Holztreppe
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