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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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muß, dann habe ich kein Modell und keine Fotos!«
    »Du bekommst den Job«, sagten
Benedikt und ich gleichzeitig. Und mein Vater sagte: »Da muß Annabells
Haftpflichtversicherung zahlen. Wir beweisen, daß Annabell ihre Aufsichtspflicht
nicht verletzt hat. Das Problem ist nur die Wertbestimmung des Modells.«
    Annabell tappte mit dem Finger
in die Soße auf dem Teppichboden, leckte stirnrunzelnd an ihrem Finger: »Sag
mir bitte, Solveig, hat dir die Viola gesagt, das ist Wein in dem Glas?«
Solveig plärrte und nickte.
    »Und du hast gemerkt, daß es
kein Wein ist, ja?«
    Solveig nickte plärrend wieder.
    Jeder schrak zusammen, als
Annabell schrill schrie: »Viola hat die Solveig angelogen! Zum ersten Mal in
ihrem Leben ist mein Kind belogen worden!«
    Jetzt war es soweit: Solveig
kreischte tobsüchtig, warf sich auf den Boden und haute mit ihren Fäusten gegen
die Beine meiner Mutter.
    »Ein Kind spürt so was!« schrie
Annabell. »Die Solveig hat darauf unheimlich richtig reagiert!«
    Wir standen noch wie erstarrt,
als mein Vater brüllte: »Du bringst jetzt das Kind ins Bett!«
    Abrupt beendete Solveig ihr
Gebrüll.
    Annabell nahm Solveig auf den
Arm und ging langsam zur Tür. An der Tür drehte sie sich um und sagte mit
tieftrauriger Stimme: »Für euch ist nur ein Modell kaputtgegangen. Etwas Totes
aus Beton und Plastik. Aber für die Solveig ist eine ganze Welt in Scherben
zersprungen! Du, Viola, hast ein Kind gelehrt, was Lüge ist.« Annabell knallte
die Tür hinter sich zu.
    Nun mußte ich auch heulen. »Beton
und Plastik — diese blöde Kuh!«
    »Schluß jetzt«, sagte
Elisabeth, »fangen wir eben von vorne an.«
    »Sehr gut, Mademoiselle
Elisabeth«, sagte Herr Engelhardt, »verzweifeln Sie bitte nicht. Sehen Sie,
eine Säule ist sogar völlig intakt.«
    »Noch eine hohe Säule zeugt von
verschwund’ner Pracht«, deklamierte mein Vater trübsinnig.
    Benedikts Mutter fuhr fort:
»Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht, versunken und vergessen
— Benedikt, wie geht es weiter? Als Kind konntest du das wie am Schnürchen runterrasseln.
Von Ludwig Uhland >Des Sängers Fluch<, das hat dir so gefallen.«
    »Das war Solveigs Fluch«, sagte
Elisabeth. »Schluß jetzt, ich werde es renovieren.«
    »Wir bekommen von der
Haftpflicht eine Entschädigung für den Wiederaufbau der ruinierten Bankfiliale,
ich kümmere mich drum«, sagte mein Vater.
    »Gottseidank«, sagte ich.
Manchmal sind Versicherungen doch praktisch.
    »Vielleicht sollten wir den
Kronleuchter einpacken, ehe er vom Baum fällt«, schlug Peter vor.
    Ja. Wir gingen hinaus in den Garten,
lösten die Kristallblitze von den Drachenzungen, verpackten sie einzeln,
zerlegten unter Peters Anleitung das Prunkstück so, wie es in drei Holzkisten
verpackt gewesen war.
     
    Es war zwei Uhr morgens, bis
schließlich alle Gäste gegangen waren. Peter half Elisabeth, das Modell nach
Hause zu bringen. Niko ließ sogar sein Auto stehen und brachte Benedikts Mutter
mit dem Taxi zu ihrer Pension. Benedikt und ich halfen meinen Eltern bis kurz
vor drei beim Aufräumen. Ehe wir in unsere Wohnung zurückfuhren, gingen wir
beide noch einmal in den Garten, standen im Finstern unter dem Baum, an dem der
Kronleuchter gestrahlt hatte.
    »Was denkst du?« fragte
Benedikt.
    »Ich denke, daß alles ganz toll
ist und trotzdem noch toller wird. Und du?«
    Benedikt küßte mich: »Das denke
ich auch.«
    Ich küßte Benedikt.
    Es war eine merkwürdige
Stimmung — ich war komplett verwirrt. Unser traumhaftes Modell, unsere Arbeit
war zerstört worden. Und gleichzeitig hatte ich diesen traumhaften Kronleuchter
geschenkt bekommen. Eigentlich, dachte ich, brauche ich das Modell gar nicht
mehr. Für mich war es eher der Abschluß, das Symbol meiner Vergangenheit. Der
Kronleuchter war das Symbol, der Beginn meiner Zukunft. Oder?
    Ich sah Benedikt an, dann sah
ich zum Himmel.
    Der Himmel hing voller Kronleuchter.

2. Kapitel
     
    Die Abfahrt in unser neues
Leben verschob sich auf die letzte Minute. Benedikts Architektenkarriere begann
am Freitag, dem
    1. September, aber mein Onkel
hat ihm den Freitag geschenkt für den Umzug. Das war sehr günstig für uns, denn
der Mann von der Umzugsspedition hatte erklärt, wenn unsere Sachen am Samstag
eingeladen und erst am Donnerstag in unserer neuen Wohnung ausgeladen würden,
könnte die Spedition in der Zwischenzeit eine kleinere Fracht zuladen, und
dadurch würden unsere Kosten fast halbiert. Mein Vater hatte das, wie

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