Der Mann, der's wert ist
Medis Zimmer ist zerstört!«
»Ich werde die Löcher
zuspachteln«, sagte ich ganz ruhig, »oben auf dem Speicher ist mein
Renovierungskram.«
»Also gut«, nun jammerte Nora
nicht mehr, »Benedikt meint ohnehin, demnächst würde das ganze Haus renoviert.
Aber als Medis Interessenvertreterin möchte ich darum bitten, daß ihr Zimmer so
ordentlich zurückgegeben wird, wie es vorgefunden wurde, und bitte auch so
sauber.« Sie deutete sehr kurz hinaus in den Flur, sie hatte den Staubsauger
bereitgestellt.
Der Packer kam und sah
demonstrativ auf seine Uhr, es war kurz vor vier. Nora sah ebenfalls auf die
Uhr, lächelte plötzlich wie eine Heilige, schüttelte meine Hand: »So, ehe wir
noch in Unfrieden scheiden, will ich mich ganz, ganz schnell zu Medi
zurückziehen. Und den Hausschlüssel bitte unter Benedikts Pudelmütze unten in
der Flurgarderobe verstecken und dann einfach die Haustür kräftig zuziehen. Bis
ich von Medi zurückkomme, wird nichts passieren. Also dann, alles, alles, alles
Gute, soll ich auch von Medi ausrichten und — last but not least — von
Benedikt.«
Ich konnte nicht mal nicken.
Ich starrte ihr hinterher, bis ich die Haustür ins Schloß fallen hörte. Im
nächsten Moment ging ich in Benedikts Zimmer — ich wollte in sein Zimmer gehen:
abgeschlossen. Jede Tür war abgeschlossen.
Ich fühlte mich wie wahnsinnig.
Als sei ich endgültig gestorben.
Der Packer hatte schon fast
alles runtergetragen. Um die letzten Spuren meiner ehemaligen Existenz
auszulöschen, mußten wir nur noch die Löcher zuspachteln. Ich holte die
Spachtelmasse aus der Kiste mit dem Renovierungskram vom Speicher, stieg auf
die Leiter und begann mechanisch wie ein Roboter, die Löcher zu verspachteln.
Der Möbelpacker kam mit einer
Bildzeitung, anklagend hielt er mir die Schlagzeile entgegen: »Sogar der Papst
drückt ihnen die Daumen! Lieber Gott, schenk uns ein Wunder!!!«
»Sie verstehen?« fragte er
ungeduldig.
Mein Gehirn war zu betäubt, um
das zu verstehen. Ich stieg von der Leiter, las im Kleingedruckten, daß heute
um 17 Uhr das Fußballspiel des Jahres beginnt — Deutschland gegen Italien — ,
das Unrecht des Jahrhunderts: alle Deutschen krank am Knie und Italien
unbezwingbar.
»Ich Italiener, darum sehr
eilig.«
Das Elend des Möbelpackers
lenkte mich von meinem eigenen ab. »Das habe ich nicht gewußt.«
Er griff sich an den Kopf: »Nur
Frau nix wissen.«
»Sie können gleich gehen, ich
kann die Löcher allein zuspachteln und fahr später mit dem Bus zurück.« Ich
schrieb ihm die Adresse vom Hotel und Rufus’ Namen auf den Rand der
Bildzeitung. Als ich ihm erklärte, er könne im Hotel das Spiel auf einem großen
Bildschirm sehen, war er beruhigt.
»Ich besser sofort gehen«,
sagte er und trug die letzten vier Regalbretter und zwei Kartons auf einmal
runter.
Es war mir recht, daß er weg
war mit seiner Hektik. Mit der Ruhe eines Roboters sah ich mich um. Wo ich den
Paravent abgeschraubt hatte, hatte sich am unteren Rand die Tapete gelöst. Ich
wollte sie mit etwas Spachtelmasse ankleben, da kam es über mich...
...ich zog an der Tapete, und
sie löste sich auf der ganzen Breite. Sie ließ sich mühelos von unten nach oben
abziehen — ich fühlte mich wie in einem Werbespot für den
Spezial-Tapetenkleister, der es möglich macht, Tapeten einfach wieder
abzureißen. Es klappte so gut, wie Herr Lafatap versprochen hatte. Unter der
Tapete kam Madame Mercedes’ staubgrünlicher Wandanstrich zum Vorschein, er
hatte keinen Schaden genommen, er sah noch so vergammelt aus wie letztes Jahr.
In einer halben Stunde hatte ich sämtliche Tapetenbahnen abgezogen, vom Boden
bis zur Decke. Was für ein absurder Kontrast, die staubgrüngammeligen Wände
über dem schönen türkisblauglänzenden Fußboden. Ich ging hinauf auf den
Speicher. In einem Karton standen all meine angebrochenen Lackdosen von der
Renovierung. Dazwischen uralte Lackdosen, die Madame Mercedes gehörten, jene
Lacke, mit denen sie einst die Ränder ihrer Spanplatten bepinselt hatte. Der
Karton war zu schwer, ich mußte die Hälfte ausladen und zweimal die
Speichertreppe rauf und runter. Der Fußboden unter dem Linoleum in Madame
Mercedes’ Zimmer war braun gewesen, braunen Lack gab es nicht. Kein Problem —
nichts ist einfacher zu mischen als Braun. Mit dem Schraubenzieher hebelte ich
eine Dose nach der anderen auf. Zuerst eine noch halbvolle Zehnliterdose
Weißlack. Dann den grauen Lack, dann den schwarzen, beide von der Renovierung
von
Weitere Kostenlose Bücher